Interview mit Ursula Maria Wartmann

 

(c) Margarete Radeck

(c) Margarete Radeck

Ursula Maria Wartmann, geb. 1953 in Oberhausen, lebt heute nach Stationen in Marburg, Aachen und Hamburg in Dortmund. Die Soziologin und Redakteurin schreibt Biografien, Essay, Hörspiele, Reportagen und Romane. 1983 erhielt sie den Elisabeth-Selbert-Förderpreis der Hessischen Landesregierung, 1993 den Literaturpreis des Ullstein-Verlags, 2007 den Literaturpreis der Autorinnenvereinigung Berlin und weitere Preise.

 

Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Die „Konkurrenz“ ist also gewaltig. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?

Wenn ich ein Buch in Angriff nehme, will ich es einfach nur schreiben. Dann steht der Wunsch im Vordergrund, etwas zu gestalten, mich auszudrücken, schöpferisch zu sein. Wenn ich mit dem Schreiben beginne, ist die Zeit dafür definitiv genau dann gekommen; etwas ist – wahrscheinlich schon lange – gereift und will nun ans Licht. Das steht zu diesem Zeitpunkt sehr im Vordergrund. Natürlich kann ich als Schriftstellerin gerne auch mal die Krise kriegen, wenn ich eine dieser monströsen Buchhandlungen betrete und mit gefühlten Millionen von Buchtiteln konfrontiert werde. Dann stellt sich in dunklen Momenten auch mal die Frage, was die Schreiberei überhaupt soll …

Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten wie beispielsweise die Spiegel-Bestseller-Liste waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?

Ich stehe da überhaupt nicht zu. Und Orientierung bietet mir so etwas nicht. Es gibt Bücher, die hätten mehr Öffentlichkeit verdient, als sie bekommen, und Bücher, die sind nur banal und im schlimmsten Fall auch noch schlecht geschrieben. Man wundert sich, dass ein Verlag sich ihrer erbarmt hat und denkt sich, dass wohl irgendein Kalkül dahinter steckt. Bei den Rankings wie in der gesamten Branche ist gerüchteweise viel Gemauschel im Spiel – warum sollte das auch anders sein als bei einer X-beliebigen Verwaltung oder Firma, wo es auch nicht immer nur sauber zugeht.

Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?

Leider habe ich kein Rezept gegen Schreibblockaden. Die muss ich aussitzen; irgendwann geht es dann wieder. Das kann lange dauern, auch Monate. Eine Gesetzmäßigkeit habe ich all die Jahre nicht erkennen können, sie kommen und gehen, und dazwischen mache ich mir das irgendwie nett. Leben findet ja unbedingt auch jenseits der Schreibprozesse statt. Liebe ist wichtig, Freundschaft, Lachen. Engagement und Empathie für Menschen, die schwächer sind, denen es, warum auch immer, nicht so gut geht. Theater und Reisen. Gartenarbeit auch: Unkraut jäten, Zucchini ernten, Apfelbäume beschneiden, Likör aus eigenen Kirschen herstellen … Das erdet enorm und macht glücklich. Gegen Selbstzweifel hilft mir Kontakt mit schreibenden Kolleginnen und Kollegen, Gespräche mit Menschen also, die wissen, wovon ich rede, weil sie diese Zweifel auch kennen.

Fabelhafte Bücher: Ob Indieautor oder Verlagsautor – längst wird erwartet, dass Autoren auf ihre Leser zugehen. Lesungen reichen nicht mehr, der Autor sollte möglichst auch im Internet präsent sein. Wie viel Zeit setzen Sie ungefähr für diese Aktivitäten rund ums Buch ein?

Überhaupt keine. Ich sollte dringend zumindest meine homepage pflegen (habe aber vergessen, wie das geht). Bei facebook und Co. war ich nie und will da definitiv auch nie hin. Ich informiere Menschen über emails oder übers Telefon, natürlich auch persönlich, oder versuche über Zeitungen, Buchbesprechungen, Interviews und Lesungen eine Öffentlichkeit herzustellen.

Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie?

Margret Atwood, T. C. Boyle, John Updike, Margriet de Moor, Nelly Sachs …

Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons, egal ob Spiegel, FAZ, ZEIT oder sonstigen Granden des Literaturbetriebs, immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?

Wieso das so ist, können uns nur diejenigen zurufen, die die „üblichen Verdächtigen“ rezensieren. Das Prinzip dahinter ist einfach, denke ich: Ein Bauer, der mit Viehzucht reich geworden ist, wird sich nicht auf den Anbau von Kohlköpfen verlegen. Sprich: Es geht oft nicht so sehr um die Sache, es geht eher um die Gewinnmaximierung. Oder, nach Brecht: Es geht erst um das Fressen, dann um die Moral. Wobei es ja nun nicht ganz so plakativ dargestellt werden sollte: Auch Neuzugänge stehen auf der literarischen Bühne immer wieder im Rampenlicht. Wer das allerdings für X anknipst und Y, ebenso talentiert und charismatisch, bleibt draußen im Dunkeln, wird das Geheimnis der Strippenzieher hinter der Bühne bleiben.

Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – welche Anfängerfehler würden Sie im Nachhinein vermeiden – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?

Texte straffen. Überflüssiges Streichen, auch wenn man es aus dem Herzen reißen muss. Vorsicht mit Adjektiven.

Fabelhafte Bücher: Viele Schriftsteller tun sich beim Schreiben von Sex-Szenen ziemlich schwer. Gibt es Themen oder Situationen, bei deren Beschreibung Sie sich schwer tun?

Bei Sex-Szenen.

Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren insgesamt zu dem Thema?

Diese Themen habe ich als Schriftstellerin nicht explizit behandelt. Ich habe mich weder dafür noch dagegen entschieden, es war einfach nicht mein Thema. Hannah Arendt hat den denkwürdigen Satz geprägt: „Niemand hat das Recht zu gehorchen!“ Will heißen: Freies Denken, offene Kritik und Widerstand müssen immer erlaubt sein, erst recht da, wo Menschen sukzessive gegängelt, entmündigt und geknebelt werden sollen. Zivilcourage ist überlebenswichtig, wenn kollektive Angst sich auszubreiten droht, die Stimmung in einem Gemeinwesen kippt, Feigheit und Untertanengeist sich breit machen. Eigentlich ist es einfach: Nur wer den Anfängen wehrt, kann die Apokalypse verhindern. Jede der „hausgemachten“ Menschheitskatastrophen hätte wahrscheinlich verhindert werden können, wenn zu Beginn die mutigen und kritischen Geister sich gegen Engstirnigkeit und Gleichgültigkeit hätten behaupten können. Da kommt gerade Künstlern und Künstlerinnen eine herausragende Rolle zu.

Fabelhafte Bücher: Wenn Sie schreiben – wie strukturieren Sie Ihren Tag? Schreiben Sie, wenn Sie gerade in Stimmung sind? Oder haben Sie sich feste Zeiten reserviert?

Ich versuche, mich zu strukturieren, seit ich schreibe, und es ist mir noch nie zufrieden stellend gelungen. Das hat mich oft gequält, aber ich komme da nicht aus meiner Haut. Ausnahme: Ich lege eine bestimmte Schreibzeit (eine Woche oder länger) mit jemandem zusammen als Arbeitsprojekt fest, am liebsten mit einer Freundin und Kollegin mehrmals im Jahr in Berlin. Dann schnurrt unser Charlottenburger Programm so zuverlässig ab wie eine alte Standuhr, der Gong zum Mittagessen inklusive. Und abends nach der Tagesschau ist Textkritik. Solche Zeiten gehören zu den sehr intensiven meines Lebens – und zu den ergiebigsten dazu. Ich möchte meinen, dass ich auf die Art um die achtzig Prozent meiner Texte geschrieben habe.

Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?

Mein aktueller Roman heißt „Pension Vera“, er spielt in Dortmund von wird vom Brockmeyer Verlag in Bochum verlegt. Aktuell sitze ich an den letzten Korrekturen. Und dann habe ich ein paar kleine, hartnäckige Gedanken im Kopf, die wahrscheinlich irgendwann in Kurzgeschichten münden …

Fabelhafte Bücher: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.