Interview mit Henning Schöttke

 

Foto: Gertje König

Foto: Gertje König

Henning Schöttke, 1952 geboren, studierte zunächst Mathematik und Musik auf Lehramt. Seit 1978 ist er freiberuflicher Comiczeichner, hat zahlreiche Comicserien veröffentlicht und über hundert Schulbücher illustriert. Durch die Arbeit an einem Roman fand er vor fünfzehn Jahren zum Schreiben. Er lebt in Kronshagen bei Kiel, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

 

Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?

Nein. In erster Linie schreibe ich, weil ich Spaß daran habe. Ich folge einem inneren Drang. Ich glaube, das ist es, was einen Künstler ausmacht. Dabei habe ich aber durchaus ein Zielpublikum vor Augen.

Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten wie beispielsweise  die Spiegel-Bestseller-Liste waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?

Solche Rankings sind nicht uninteressant, aber sie zeigen nur, was viele Leser mögen. Dies sagt nichts über die Qualität der Bücher aus. Vor Kurzem habe ich zwei Bücher aus dieser Liste gelesen und fand beide schlecht.

Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?

Da ich für meine Arbeit viel Recherche brauche und dies mit Schreiben abwechsele, kenne ich Durchhänger eigentlich nicht. Je nach Gefühl mache ich mal das eine, dann das andere. Hinzu kommt, dass ich viel Zeit damit verbringe, mir die Plots, die Charaktere und deren Motivationen usw. auszudenken. Von außen betrachtet, würde es manchmal so aussehen, als ob ich eine halbe Stunde lang gar nichts tue. Freizeit und Arbeitszeit sind bei mir nicht klar getrennt. Viele Ideen kommen mir beim Einkaufen oder beim Fernsehen und ich notieren sie dann möglichst bald.

Fabelhafte Bücher: Ob Indieautor oder Verlagsautor – längst wird erwartet, dass Autoren auf ihre Leser zugehen. Wie viel Zeit setzen Sie ungefähr für diese Aktivitäten rund ums Buch ein?

Wenn ein neuer Roman erscheint, kümmere ich mich einige Wochen nur um die Vermarktung, vor allem Lesungen und Rezensionen in der Presse.

Fabelhafte Bücher: Wenn Neulinge Sie nach einem Tipp fragen würden: Auf welches Marketinginstrument setzen Sie in erster Linie?

Neben Lesungen und Rezensionen Facebook und das Netzwerken in Literatur- und Schreibgruppen. Auf die richtige Mischung kommt es an. Und die hängt auch von den individuellen Stärken des Autors ab.

Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie?

Als Jugendlicher habe ich Hermann Hesse gelesen. Thomas Mann, Dostojewski, „ernsthafte“ Literatur. Stilistisch ist Stephen King mein Vorbild. Vor allem „Dead Zone“ zähle ich zu meinem Arbeitsmaterial. Der Aufbau der Szenen und Figuren darin ist ungeheuer lehrreich für mich. Dann inspirieren mich TV-Serien mit langen Erzählbögen wie Lost, Borgen, Mad Men, The Wire oder Breaking Bad. Außerdem mag ich bei den Harry-Potter-Romanen, wie komplex sie konstruiert sind.

Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons, egal ob Spiegel, FAZ, ZEIT oder sonstigen Granden des Literaturbetriebs, immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?

Wie oft haben Sie schon ein Buch aufgrund einer Rezension gekauft? Ein einzelner solcher Bericht bringt wenig. Viel mehr bringen regelmäßige Berichte in der Region, aus der der Autor kommt. So dass sich beim Publikum nach und nach das Gefühl einstellt: Von dem hab ich doch schon mal gehört.

Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – welche Anfängerfehler würden Sie im Nachhinein vermeiden – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?

Man sollte sich intensiv mit dem Handwerk beschäftigen. Schreibliteratur lesen. Aber nicht nur einmal, sondern sie im Laufe von Jahren immer wieder mit seinem Werk abgleichen. Dazu gehört auch Grammatik. Darin war ich in der Schule sehr schwach. Aber heute weiß ich, wie ich sie gezielt für Wirkungen einsetzen kann. Außerdem sollte man zuerst etwas Kurzes schreiben. Möglichst nicht mehr als 200 Seiten. Und diese bis zu zehn mal überarbeiten. Vorsicht mit Adjektiven. Hauptsachen gehören in Hauptsätze. Show don’t tell.

Fabelhafte Bücher: Viele Schriftsteller tun sich beim Schreiben von Sex-Szenen ziemlich schwer. Gibt es Themen oder Situationen, bei deren Beschreibung Sie sich schwer tun?

Hier gilt: mutig sein. Keine Schere im Kopf. Oft haben Autoren  Angst, der Leser könnte den Boten mit der Botschaft verwechseln, Freunde und Bekannte könnten denken: Was hat denn der für eine krude Phantasie? Aber das, was im Buch passiert, tun und denken meine Figuren. Ich stelle ihnen nur die Bühne auf. Man sollte Sex- oder andere Tabuthemen so bearbeiten wie den Rest des Buches, damit sie sich ohne stilistischen Bruch gut einfügen.

Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren  insgesamt zu dem Thema?

Obwohl ich eine ausgeprägte politische Meinung habe, halte ich sie in meinen Büchern zurück. Solche Themen transportiert man am Besten über mehrere Figuren, die unterschiedliche Ansichten haben. So kann der Leser entscheiden, welche er am passendsten findet.

Fabelhafte Bücher: Wenn Sie schreiben – wie strukturieren Sie Ihren Tag? Schreiben Sie, wenn Sie gerade in Stimmung sind? Oder haben Sie sich feste Zeiten reserviert?

Ich bin ja vor allem Comiczeichner. Damit verdiene ich mein Geld. Die Romane stehen erst am Anfang. Ich notiere mir meine Arbeitszeiten und versuche auf eine bestimmte Stundenanzahl zu kommen. Aber sie auch nicht zu sehr zu überschreiten; als Freiberufler muss man aufpassen sich nicht aufzureiben. Wie oben gesagt, ist bei mir Arbeit- und Freizeit nicht strikt getrennt. Ich arbeite morgens, abends – auch am Wochenende. Ich arbeite einfach sehr gern als Künstler.

Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?

Ich schreibe gerade das vierte Buch einer siebenteiligen Reihe. Jede der Hauptfiguren basiert auf einer der Todsünden. Ich erzähle ihr Leben – von der Kindheit bis ins hohe Alter. Dabei schreibe ich über die Todsünde aber nicht im religiösen Kontext, sondern als Metapher für menschliche Kultur und Grundbedürfnisse.
Jeder Roman steht für sich und man kann sie in beliebiger Reihenfolge lesen. Dennoch sind alle Romane untereinander verbunden. Das Besondere ist, dass die sieben parallelen Handlungen einander beeinflussen. Zum Beispiel verliert in einem Roman jemand am Strand eine Münze; in einem anderen Roman findet ein Mädchen diese Münze, was eine Reihe von Ereignissen auslöst. Damit am Ende alles passt, habe ich von Beginn an alle Haupt- und einige Nebenfiguren sowie die wichtigsten Handlungsstränge und erste Verbindungen untereinander entworfen. Mittlerweile gibt es zu jedem der noch ausstehenden Romane 30 bis 50 Seiten Material. Mein nächster Roman heißt „Superbias Lied“. Es geht um eine Frau, die als Kind mit ihrem Vater als Straßenmusikerin durch Europa zieht und später eine gefeierte Rocksängerin wird.

Fabelhafte Bücher: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.

Ich danke auch.


Der Autor im Netz

www.henning-schoettke.de

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