Rezension von Beste Bücher

Hennung Juul hat das Trauma um den Tod seines kleinen Jungen noch nicht verarbeitet, da überschlagen sich erneut die Ereignisse. In einem Altersheim wird eine pensionierte Lehrerin erwürgt. Ein Familienfoto liegt am Tatort in Scherben – der Täter hat es mit aller Kraft verstört. Wenig später eine tote junge Frau in einer belebten Wohngegend. Ebenfalls erwürgt, auch hier zerstörte Familienfotos. Ein Serientäter in Oslo oder nur Zufall?

Zur gleichen Zeit wird Henning Juuls Schwester, die Justizministerin Trine Juul, Opfer einer minutiös orchestrierten Hetzkampagne der Medien. Wer immer hinter der Aktion steckt: Er kennt Trines dunkelstes Geheimnis und weiß, wo sie am Abend des 9. September wirklich gewesen ist. 

Zwei Fälle die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Kann Henning die losen Fäden verbinden und gleichzeitig im Hintergrund weiter an der Aufklärung seines eigenen Familiendramas arbeiten? Doch der Mörder geht geschickt vor. Als seine Identität ans Licht kommt, ist es möglicherweise schon zu spät…

Rezension

Hennings Juuls dritter Fall ist spannend und nimmt etwa ab der Mitte des Buches richtig Fahrt auf. Die vielen, für deutschsprachige Ohren ungewohnten Namen (Trine, Mattis, Bjarne…) verlangen vom Leser schon eine gewisse Konzentration – dafür wird man mit einem vielschichtigen und intelligenten Thriller belohnt, bei dem auch hartgesottene Krimifans nicht so ohne Weiteres den Handlungsverlauf voraussehen können. 

Ein wenig schwer fällt lediglich der Umgang mit der verleumdeten Justizministerin. Sie wird mit Vorwürfen konfrontiert, denen zufolge sie einen jüngeren Politiker zu sexuellen Handlungen genötigt hat. Und wie reagiert die Berufspolitikerin? Heult bei jeder Gelegenheit, schleicht sich tagelang davon und fällt ihrem kompletten Umfeld mit ihrer Zickigkeit auf die Nerven. Oder jedenfalls dem Leser. Falls das von Thomas Enger ein Versuch war, eine „starke und doch verletzliche“ Frau zu portraitieren, ging es eher schief. Man seufzt nur innerlich bei jeder Passage über Trine und denkt: „Herrjemine, dann tritt halt ab. Machst‘ halt was anderes im Leben!“

Die Rolle von Henning Juul krankt ein wenig daran, dass er eben nur Journalist ist und im Vergleich zur Polizei üblicherweise erst als zweiter am Tatort auftaucht. Da ist es nur folgerichtig, dass Enger seine Romane weniger konsequent auf seinen Hauptprotagonisten zugeschnitten hat, als das andere Krimiautoren tun. Statt dessen räumt der Bestseller-Autor den vielen anderen Polizisten, Kriminaltechnikern etc., die seine Romane bevölkern, großzügige Textpassagen ein. Der Polizist Bjarne beispielsweise kommt nicht viel seltener zum Einsatz als Henning, unser Online-Journalist.

Thomas Engers Roman ist insgesamt ein typisch skandinavischer Krimi mit kühlen, in sich gekehrten Protagonisten. Sympathisch ist, dass sich die Gewaltdarstellung in „Verleumdet“ in Grenzen hält. Die brutalste Tat im Buch findet an einer Person statt, die ohnehin schon tot ist. Wer also auf billige Gewaltschocker a là Mo Hayder usw. verzichten kann und Spaß an einem intelligenten, raffinierten Thriller hat, ist mit Thomas Engers „Verleumdet“ gut bedient.