Rezension von Silvia

Beschäftigt man sich mit dem zeitgenössischen Israel, wird man zunächst auf problembehaftete Themen stoßen wie die jüngsten Auseinandersetzungen um den Jerusalemer Tempelberg oder die umstrittene Siedlungs- und Besatzungspolitik infolge des sich heuer zum fünfzigsten Mal jährenden Sechstagekrieges. In diesem hat auch der Autor des vorliegenden Buches, der in Israel berühmte, hochdotierte und beliebte Schriftsteller, Journalist, Radio- und Fernsehmoderator Meir Shalev gekämpft. Er jedoch öffnet uns in seinem literarischen Schaffen einen liebevoll-ironischen Blick auf seine Heimat Israel. Und dies obwohl oder gerade weil Meir Shalev im erwähnten Sechstagekrieg als 19-Jähriger auf einem Patrouillengang in „friendly fire“ geraten ist und sich seither öffentlich für die Rückgabe der besetzten Gebiete und eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzt. .In den Romanen „Meine russische Großmutter und ihr amerikanischer Staubsauger“ oder „Ein russischer Roman“ beispielsweise widmet er sich humorvoll der Gründergeneration des jüdischen Staates. Beide Werke sind im Diogenes-Verlag auf Deutsch erschienen, genauso wie eine Vielzahl anderer viel beachteter Romane, Sachbücher und Kinderbücher Shalevs.

Auch sein neuestes, um es gleich vorweg zu sagen, bezauberndes Buch aus dem Züricher Verlagshaus wird von liebevoller Ironie getragen. Sein Titel „Mein Wildgarten“ führt zunächst ein wenig in die Irre. Zwar stehen der titelgebende Wildgarten und seine Herausforderungen für den Gärtner und Autor im Mittelpunkt der Darstellung. Aber schon der ästhetisch sehr ansprechend gestaltete Schutzumschlag, auf dem aquarellierte Mohnblumen abgebildet sind, und die zahlreichen kunstvollen Zeichnungen von Blumen und Landschaften, die den Text illustrieren, legen künstlerische Ambitionen nahe, die einem Sachbuch fremd sind. „Mein Wildgarten“ ist also keineswegs ein Gartenratgeber. Shalev beobachtet sich vielmehr selbst, wie er um sein Haus im Norden Israels einen Garten anlegt, der vorwiegend aus wild sprießenden Pflanzen, Blumen, Sträuchern und Bäumen, besteht. Die Pflege dieses im Wesentlichen ungezügelten Gartens, seiner beglückenden „neuen Liebe“, und die ihn bevölkernden Lebewesen, werden ihm zur literarischen Inspiration für ebenso frei sich einstellende kluge Gedanken und Erinnerungen, tiefschürfende Betrachtungen über das Leben, den Menschen, die Liebe oder über Geschichte, Literatur, Mythos und Sprache. Besonders schön gerät dabei unter vielem anderen die poetische Beschreibung des Wechsels der Tageszeiten und der Jahreszeiten im gleichnamigen Kapitel durch die Darstellung von Werden und Vergehen der Natur im Wildgarten, durch die Veranschaulichung der je nach Jahreszeiten unterschiedlichen Tiere, der verschiedenen Gestalt der Pflanzen, durch die sich verändernden Gerüche und Laute.

Das Buch ist aber ebenso wenig Ausdruck der Flucht eines angesichts der Politik Resignierenden ins Privatleben. Meir Shalevs aufklärerisch-politische Grundhaltung schimmert in den 48 literarischen Kapiteln und Kapitelchen von „Mein Wildgarten“ immer wieder durch, ohne dass er den pädagogischen Zeigefinger hebt. So übt der Leser mit dem Gärtner genaues sorgfältiges Hinschauen auf z.B. den „Fingerabdruck (…) des Alpenveilchens“ oder genaues Hinhören, wenn es um die Unterscheidung, Beschreibung und Interpretation des nächtliches Stimmengewirrs in und um den Garten geht.

Demut erwächst Gärtner und Leser aus der anstrengenden Arbeit des Unkrautjätens auf allen Vieren. Beide erfahren die Wonnen des geduldigen Wartens, wenn 10 Jahre nach der Aussaat eine Meerzwiebel zum ersten Male blüht. Angesichts der Vielgestaltigkeit der Schöpfung macht der Autor sich und seinem Publikum bewusst,“ dass meine Welt nur eine von Dutzenden anderer Welten ist.“

Die Achtsamkeit oder Achtung im Umgang mit Pflanzen, Gegenständen und Tieren findet im Stilmittel der Personifikation ihren adäquaten Ausdruck. So wird Verständnis für das Verhalten von Gräsern geäußert, die die Spannfeder der Motorsense versteckten, damit diese sie nicht abmähen könne, oder es wird die Schubkarre.bewundert, die „Charakter, Gelassenheit und Reife“ besitze. Bedauert der Autor aus der Natur verschwundene Glühwürmchen, Panzerschleichen und Kröten oder selten gewordene Schmetterlinge, Schildkröten und Froschlurche, fühlt man sich an seinem Umweltgewissen gepackt.

Seinen Respekt vor der arabischen Überlieferung und seine Kritik am jüdischen Staat bezeugt der Autor, indem er betont, dass „(a)usgerechnet der arabische Name (für einen Berg im Karmelgebirge) ‚Muchraka ‘ (…) die jüdische Überlieferung“ bewahrt,“ wohingegen der hebräisch-zionistische Name (…) sie ignoriert. „Aber der Staat der Juden, der arabische Namen von der Landkarte und aus dem Gedächtnis tilgen möchte, hat (…) die jüdische Überlieferung ausgelöscht, die der arabische Name bewahrte.“

Für das Buch nimmt in besonderer Weise der humorvolle selbstironische Erzählton ein. So wird z.B. die Darstellung des Kampfes des Gärtners mit der Blindmaus, seinem „Erzfeind“ zum vergnüglich zu lesenden Schelmenstück, das mit folgenden Bekenntnissen eingeleitet wird: „Im Allgemeinen bin ich ein Mensch, der den Frieden liebt und Kriege hasst, aber ich bin kein Pazifist (…). Es gibt Fälle und Situationen, in denen der Mensch den Kampf erwidern oder sogar eröffnen muss, zum Beispiel, wenn seine hilflosen Liebsten vor seinen Augen aufgefressen werden.“

Der vergebliche Versuch, die Blindmaus aus ihrem Tunnelsystem auszuschwemmen, führt dann zunächst zu einer „Wasserrechnung für ein Schwimmbad“. Auf die empfohlene Einführung von Autoabgasen verzichtet der Gärtner trotz der verlockenden Aussichten auf Erfolg, weil „es Dinge gibt, die Juden nicht tun sollten“ Der „ totale Krieg“ führt zum Einsatz von Giftpillen, die aber weder „ die Blindmaus (noch) den Gärtner töten“ Der „Nahkampf“, das Warten des Gärtners mit erhobener Hacke am Ausgangs des Baus, endet nach Stunden in dieser Haltung mit der Erkenntnis, „dass der Schaden, den er (der Mensch) sich selbst zufügt, alles übersteigt, was die Blindmaus ihm zufügt“. Diese quittiert zudem ungerührt das Verhalten des Attentäters damit, dass sie schlussendlich „ mit der Nase Erde aus dem Bau nach draußen“ schiebt. Der Möchtegernmörder, die Situation als endlich günstig verkennend, trifft, statt die Erdschichten bis zur Maus zu durchdringen, mit der Hacke einen Stein und landet, da „sämtliche Knochen zu singen beginnen“, beim Physiotherapeuten. Schlussendlich verzichtet der Gärtner resigniert, nachdem er seinen halben Garten auf der Suche nach dem Feind umgegraben hat, auf „mein Recht, auf Genugtuung für meine verletzte Ehre“ und geht dazu über, gemeinsam mit der Blindmaus den Konflikt in friedlicher Koexistenz zu „verwalten“ ganz so als könne dies auch eine mögliche liebevoll- ironische Handlungsanweisung zur Lösung zeitgenössischer politischer Probleme bieten, von Problemen, die man allzu häufig einseitig mit dem zeitgenössischen Staat Israel verbindet wie den Streit um den Tempelberg, die Auseinandersetzung um die Siedlungs- und Besatzungspolitik und die Uneinigkeit um die Zweistaatenlösung…