Interview mit Nikola Huppertz

 

© Ferdinand Huppertz

© Ferdinand Huppertz

Nikola Huppertz, geboren 1976 in Mönchengladbach, studierte Musik und Psychologie und beschäftigte sich parallel mit dem Schreiben. 2007 gewann sie mit dem Manuskript zu ihrem Debütroman Karla, Sengül und das Fenster zur Welt den Literaturwettbewerb der Bonner Buchmesse Migration und schreibt seitdem Texte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Als freie Autorin lebt sie mit Tochter und Sohn in Hannover.

 

Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Die „Konkurrenz“ ist also gewaltig. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?

Ich gebe mir Mühe, im Planungs- und Schreibprozess nicht nur hässliches Konkurrenzdenken (das sich ja unmittelbar auf die Arbeit der Kolleg_innen beziehen würde), sondern auch sonstige Grübeleien über den leicht hysterischen Buchmarkt und seine Entwicklungen auszublenden. Sie wirken ausgesprochen demoralisierend und untergraben das inhaltliche Anliegen beim Schreiben. Spätestens wenn es zu Absprachen oder Verhandlungen mit Verlagen kommt, wird man aber zwangsläufig mit marktbezogenen Fragen und dem Verkaufsdruck konfrontiert. Ich versuche dann, möglichst langfristig zu denken und nicht auf vorbeirasende Hochgeschwindigkeitszüge aufzuspringen. Schriftstellerischer Erfolg lässt sich nicht oder allenfalls kurzfristig planen. Daher hoffe ich, am besten zu fahren, wenn ich einfach meinen persönlichen Schreibbedürfnissen folge. Von mir aus im Bummelzug, solange es nur irgendwie vorwärts geht.

Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten wie beispielsweise die Spiegel-Bestseller-Liste waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?

Ich halte sie weder für ein Qualitätskriterium noch für dessen Gegenteil. Sie bilden schlicht und einfach ab, welche Bücher sich in einem bestimmten Zeitraum am besten verkaufen. Das kann vielerlei Gründe haben: Sie haben ein besonders großes Werbebudget erhalten, sie wurden ausgiebig besprochen, sie fallen thematisch, sprachlich oder durch ihre äußere Gestaltung auf, sie treffen einen bestimmten Nerv beim Leser, sie sprechen sich rum, sie haben einfach Glück. Persönlich schaue ich nur selten auf Bestsellerlisten und kaufe auch lieber in konzernunabhängigen Buchhandlungen, die ihr Sortiment nach anderen Kriterien als der Spiegelliste auswählen.

Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?

Ich hätte gerne eins, also falls ihr was wisst, immer her damit! Selbstzweifel sind furchtbar, leider überrollen sie mich beim Schreiben immer wieder. Bis zu einem gewissen Grad schärfen sie den kritischen Blick auf die eigenen Texte und verhindern schlampiges Arbeiten, jenseits dessen können sie aber tatsächlich zu Blockaden und Durchhängern führen. Mir hilft dann am ehesten, mich auf das zu konzentrieren, was mich ursprünglich zum Schreiben gebracht hat: die Liebe zum Wort und zu den Geschichten, die Freude am Imaginieren und die klärende Wirkung des Schreibens auf meine persönlichen Gedanken. Je zweckfreier ich arbeite, je mehr der Arbeitsprozess an sich im Mittelpunkt steht und je weniger ich mir den potenziellen Erfolg oder Misserfolg beim Publikum vor Augen halte, desto befreiter kann ich schreiben – dann gerne auch viel und trotz sonstiger Beanspruchung.

Fabelhafte Bücher: Ob Indieautor oder Verlagsautor – längst wird erwartet, dass Autoren auf ihre Leser zugehen. Lesungen reichen nicht mehr, der Autor sollte möglichst auch im Internet präsent sein. Wie viel Zeit setzen Sie ungefähr für diese Aktivitäten rund ums Buch ein?

So viel wie nötig und so wenig wie möglich. Ich habe eine Website, die ich regelmäßig aktualisiere, und ich poste Neuerscheinungen sowie die wichtigsten Veranstaltungen auf facebook, wo ich mit anderen Autor_innen und Leser_innen vernetzt bin. Zu einem meiner Bücher habe ich eine Leserunde auf lovelybooks durchgeführt, ab und zu ergeben sich Interviews, die Spaß machen. Ansonsten setze ich aber mehr auf die unmittelbare Begegnung. Ich halte viele Lesungen und freue mich über persönliche Gespräche oder Mailwechsel. Außerdem habe ich ein Blog, für das ich ab und zu Beiträge schreibe. In ihnen gehen das literarische Arbeiten und der Leserkontakt fließend ineinander über. Guckt gerne vorbei. (Siehe Link am Ende des Interviews).

Fabelhafte Bücher: Wenn Neulinge Sie nach einem Tipp fragen würden: Auf welches Marketinginstrument setzen Sie in erster Linie?

Da ich auf klassische Weise mit Verlagen zusammenarbeite, hängt bei mir viel vom Engagement der jeweiligen Marketingabteilung ab. Es ist, glaube ich, wichtig, den Dingen nicht einfach nur naiv zuzusehen (und sie ggf. in den Sand laufen zu lassen), sondern nachzufragen und auch einzufordern, dass etwas für das eigene Werk getan wird. Dabei hilft es, sich regelmäßig Informationen einzuholen und einen gewissen Überblick über die Verlagslandschaft zu verschaffen, offen mit Kolleg_innen zu sprechen und Erfahrungen auszutauschen. Ansonsten beobachte ich immer wieder, dass der unmittelbare Kontakt, z. B. bei Lesungen, Menschen neugierig auf Bücher macht – im Einzelfall vielleicht sogar neugieriger als noch so ausgetüftelte Marketingkonzepte. Sich immer mal wieder rausbegeben, ansprechbar sein, erzählen, die eigenen Geschichten auch verkörpern: Schreiben bedeutet für mich mehr als am Schreibtisch zu sitzen. Es hat mit dem ganzen Menschen zu tun. Es ist Kommunikation.

Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie? 

Ich lese möglichst vielseitig: zeitgenössische Romane, aber auch Klassiker, Kurzgeschichten, mythische Erzählungen, Kinder- und Jugendbücher, Lyrik, Comics, Sachbücher … und von allen kann man lernen! Auch von Filmen, übrigens. Oder von Theaterstücken. Oder von Liedtexten. Insofern ist es schwer, einzelne Namen aufzuzählen und alle Einflüsse, die auf mich wirken, aufzudröseln. Am heimischsten bin ich vermutlich in der zeitgenössischen realistischen Literatur. Ein besonderes Faible habe ich für experimentelle Texte. Sehr gerne lese ich z. B. die Texte von Clemens Setz, Friederike Mayröcker, Nils Mohl …

Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons, egal ob Spiegel, FAZ, ZEIT oder sonstigen Granden des Literaturbetriebs, immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?

Das fragt ihr vielleicht besser die Herausgeber der großen Feuilletons … Ich fürchte, es läuft sehr viel über Verbindungen, seien es direkte oder indirekte. Außerdem habe ich den Eindruck, die Feuilletons haben die Programme bestimmter Verlage stärker im Auge als die anderer Verlage. Dabei können Bücher „durchrutschen“, die eine Rezension mehr als verdient hätten, und andere aus reiner Gewohnheit besprochen werden. Vermutlich bekommen auch aufwendig beworbene Spitzentitel mehr Aufmerksamkeit in der Presse. Ich würde mir wünschen, die Feuilletons würden es sich gezielt zur Aufgabe machen, junge, noch unbekannte Autoren und Bücher aus kleinen Verlagen stärker zu unterstützen. Aber solange es ihnen und auch den Verlagen selbst weniger um Neuentdeckungen geht als darum, einen bereits etablierten Literaturbetrieb zu bestätigen, kann es nicht schaden, sich auch außerhalb der großen Feuilletons nach Buchkritiken umzusehen. Es gibt Fachzeitschriften und Internetportale, die sich viel Mühe damit geben, auch andere Titel zu besprechen.

Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – welche Anfängerfehler würden Sie im Nachhinein vermeiden – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?

Für mich ist das Wichtigste, von Anfang an zu klären, was man literarisch möchte und wofür man die Arbeit auf sich nimmt, Bücher zu schreiben. Viele Newcomer sind z. B. bereit, sich zu verbiegen und die Ideen und Wünsche von Verlagen in Form von Auftragsarbeiten umzusetzen, um überhaupt auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen. Andere wissen ganz genau, was sie erzählen wollen, werden aber von Rückschlägen entmutigt. Ein gewisser Starrsinn kann helfen, die Anfangszeit durchzustehen, am persönlichen Vorsatz festzuhalten und nicht jedes Spielchen mitzuspielen. Andererseits finde ich es wichtig, sich nicht auf den ersten Erfolgen auszuruhen und sich einzubilden, dass man schon alles kann, sondern kontinuierlich dazuzulernen.

Fabelhafte Bücher: Viele Schriftsteller tun sich beim Schreiben von Sex-Szenen ziemlich schwer. Gibt es Themen oder Situationen, bei deren Beschreibung Sie sich schwer tun?

Sex-Szenen, die ja stark die subjektiven Empfindungen fokussieren, fallen mir weniger schwer als sehr handlungsreiche Situationen wie beispielsweise eine Party zu vorgerückter Stunde oder eine Verfolgungsjagd. Ich bin gedanklich immer stark in meinen Figuren drin und liebe es, minutiöse Innenschauen zu schreiben. Da muss ich manchmal aufpassen, den Plot genug voranzutreiben und auch mal zu raffen. Inhaltlich fordern mir Szenen einiges ab, in denen Figuren sich weltanschaulich äußern. Man muss so etwas sehr genau formulieren und deutlich machen, wer dort eigentlich denkt und spricht: die Figur und/ oder der Autor.

Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren insgesamt zu dem Thema?

Möchte ich mich zu politisch brisanten Themen äußern, setze ich bei mir selber ein fundiertes Wissen und eine kritische Beschäftigung mit ihnen voraus – bei jedem anderen Autor übrigens auch. Mir ist es wichtig, mich mit dem, worüber ich schreibe, wirklich auszukennen. Ich finde es nicht in Ordnung, unbedacht und halbwissend über „heiße“ Themen zu schreiben, die leicht provozieren und oft missverstanden werden, und sich dann mit einem lapidaren „Man wird doch wohl noch sagen dürfen …“ aus der Affäre zu ziehen. Mit Sorgfalt, Reflexion und Respekt kann man seine Meinung zu politischen und gesellschaftlichen Themen aber durchaus – deutlich – zum Ausdruck bringen. Oder, vielleicht noch interessanter, verschiedene Positionen darstellen.

Fabelhafte Bücher: Wenn Sie schreiben – wie strukturieren Sie Ihren Tag? Schreiben Sie, wenn Sie gerade in Stimmung sind? Oder haben Sie sich feste Zeiten reserviert?

Ich lebe mit meinen beiden Kindern zusammen, und die sorgen schon dafür, dass mein Arbeitsalltag nicht allzu strukturiert wird … Gleichzeitig gerate ich aber auch nicht in Versuchung, immer erst auf eine günstige Stimmung oder gar den Musenkuss zu warten, bis ich mich an meine Texte setze. Vielmehr trainiere ich mich darin, schnell umzuschalten und mich auch dann aufs Schreiben zu konzentrieren, wenn die Bedingungen nicht ideal sind. Nach Möglichkeit arbeite ich vormittags, wenn meine Kinder in der Schule sind, und freue mich über zusätzliche Gelegenheiten am Nachmittag, Abend oder am Wochenende. Dieses Muster wird aber immer wieder unterbrochen, z. B. wenn ich Lesungen habe, auf Reisen bin oder Unvorhergesehenes auf mich niederprasselt. Viel Zeit fordert auch das organisatorische Drumherum (Lesungsanfragen beantworten, E-Mails schreiben, Reisen planen, Ausschreibungen im Auge behalten, Texte verschicken etc.). Für mich gehört außerdem zur schriftstellerischen Arbeit, mir täglich genug Zeit zum Lesen sowie für persönliche Notizen und Korrespondenz (gegenseitige Textkritik inbegriffen) zu reservieren.

Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?

Ich arbeite schon länger an einem Roman über ein junges Mädchen, Kim. Sie hat Schwierigkeiten mit ihrer Geschlechtsrolle, aber auch mit anderen Rollen, die unterschwellige Erwartungen an sie herantragen: die der Tochter, der Schwester, der besten Freundin, der Kameradin, der Geliebten … Kim beginnt schließlich, mit all diesen Rollen zu experimentieren, so ähnlich wie sie es als Kind in ihrer Phantasiewelt getan hat. Man könnte auch sagen, es wird ein Roman übers Spielen. Außerdem schreibe ich zwischendurch immer wieder Lyrik.

Fabelhafte Bücher: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.


Nikola Huppertz im www