Rezension von Ramon

Was bisher geschah…

Vernon Subutex, fast fünfzig Jahre alt und begabter DJ, muss erst seinen Plattenladen schließen, dann fliegt er aus seiner Wohnung. Eine Weile kann er sich noch über Facebook bei Freunden und Bekannten einquartieren, doch schließlich landet er in der Obdachlosigkeit. Da er unveröffentlichte Videobänder des verstorbenen Rockstars Alex Bleach besitzt, sind verschiedene alte Weggefährten auf der Suche nach ihm. Freunde von Subutex, die sich Sorgen um ihn machen, schließen sich der Suche an.

Das mysteriöse Videoband, so stellt sich im zweiten Band der Trilogie heraus, enthält einige Sprengkraft, weil es den einflussreichen Filmproduzenten Dopalet schwer belastet. Der soll eine Pornodarstellerin sexuell missbraucht haben, deren streng muslimische Tochter daraufhin mit einer Komplizin Rache an Dopalet nimmt und ihn in seiner Wohnung überfällt.

Indes bildet sich unter den Freunden und ehemaligen Weggefährten ein regelrechter Kult um Vernon Subutex. Der hat sich „erfolgreich“ aus einer Gesellschaft ausgeklinkt, unter der auch seine Anhänger leiden. Subutex wird zu einem Guru wider Willen, es werden Conventions organisiert, bei denen er Platten auflegt und alle zum Tanzen bringt. Eine besondere Atmosphäre herrscht. Links und rechts, Frau und Mann, reich und arm, alle befinden sich während der Zeit dieser Conventions außerhalb ihrer üblichen gesellschaftlichen Rollen, bilden eine verschworene Bande.

Noch mehr Drama

Während der erste Teil der Trilogie am absoluten Tiefpunkt ihres Helden endet, sind am Schluss des zweiten Teils nicht nur Subutex, sondern auch seine Mitstreiter auf einem ungeahnten Höhenflug. Doch man ahnt bereits, dass das Glück ihrer Zusammentreffen nicht von unbegrenzter Dauer sein wird. Tatsächlich wird es in diesem Abschlussband schon bald von verschiedenen Seiten bedroht.

Da ist zunächst eine vermeintliche Geldspende, die plötzlich zu Unfrieden bei der Subutex-Bande führt. Gab es vorher kaum Streitereien, führt der zu erwartende Geldsegen vermehrt zu Spannungen innerhalb der Gruppe.

Der Filmproduzent Dopalet schmiedet einen bösartigen Racheplan, der zunächst eine seiner beiden Peinigerinnen trifft, sich dann aber zu so ungeheuerlicher Größe auswächst, dass alle Teilnehmer der Conventions betroffen sind. Das Perfideste an Dopalets Feldzug ist, dass er das von ihm geschaffene Unglück nutzt, um seinen eigenen Einfluss noch weiter zu vergrößern.

Dieser dritte Band spitzt die schon in den ersten zwei Bänden formulierte Gesellschaftskritik auf eine dramatische und sehr konsequente Weise zu. Dennoch endet, das sei schon verraten, dieser Abschlussband der Trilogie nicht in absoluter Negativität. Denn Despentes düsterer Zeitdiagnose folgt noch ein Ausblick in eine dystopische Zukunft – in der es zumindest einen kleinen Lichtblick gibt.

Fazit

„Das Leben des Vernon Subutex“ ist manchmal erschreckend, oft erhellend und immer mitreissend.  Die Trilogie ist nicht nur sehr unterhaltsam, sondern erfüllt für mich auch alle Ansprüche, die man an einen literarischen Text stellen kann. Dazu zähle ich vor allem:

1. Dem Stil liegt eine unverwechselbar eigene Sicht auf die Welt zugrunde. Hierdurch sieht man als Leser die Dinge in einem ungewohnten Licht.

2. Die Themen werden nicht unterkomplex behandelt. Dafür sorgt in den ersten beiden Bänden etwa die multiperspektivische Erzählweise. Ich hatte den Eindruck, dass die Stimme der Autorin in diesem Band stärker in den Vordergrund tritt, aber das empfand ich auch als passend.

3. Der Leser wird immer wieder in seiner Erwartungshaltung enttäuscht. Dies zieht sich bis ganz zum Schluss, denn wer erwartet schon von einem Gegenwartsroman, dass er im Jahr 2086 endet?