Zusammenfassung, Infos und Rezension

Inhalt

Philip ist, wie seine Frau Bella, ein weltweit erfolgreicher Schriftsteller, wenngleich seine Bücher sich in den letzten Jahren weniger gut verkaufen. Lange hat das Ehepaar abwechselnd in New York und Paris gelebt. Als Bella an Leukämie stirbt, ist das für Philip nach dem Tod des gemeinsamen Töchterchens der zweite große Schlag. In New York und in seinem Landhaus in Sharon, Massachusetts will er bescheiden die letzten Jahre verbringen; ohne Ambitionen, ohne Zukunftspläne.

Er geht aller Welt aus dem Weg – bis er eines Abends nach einer Ballettaufführung auf seine alte Bekannte Lucy trifft. Lucy vom Clan der De Bourghs, die ebenso wie Philip der alten Ostküstenoberschicht angehört; sozusagen die zweite Reihe nach den Vanderbilts, den Rockefellers, den Carnegies.

Einst eine lebenslustige und originelle junge Frau aus dem Jetset der 60er Jahre ist Lucy zur gehässigen Außenseiterin mutiert, die von aller Welt gemieden wird, seit sie obsessiv und nur noch in düstersten Farben über ihre Ehe mit dem inzwischen verstorbenen prominenten Investmantbanker Thomas Snow spricht. Snow stammte aus einfachen Verhältnissen, ein „Townie“, der nie laut Lucy wirklich „weiß genug“ gewesen sei, um seinen Weg selbst zu machen. Nur mit dem Namen und dem Geld seiner Frau sei ihm der Aufstieg gelungen – so Lucy. Als Thomas tatsächlich der Durchbruch gelang und er zur großen Nummer an der Wall Street wurde, da trennte er sich und heiratete eine jüngere, eine „Trophy Wife“, wie die Klatschspalten berichteten.

Philips Erinnerungen an Thomas stehen dem diametral entgegen und so folgt er zum letzten Mal in seinem Leben seinem schriftstellerischen Instinkt und rekonstruiert die letzten Jahre der Eheleute Snow, wie sie wirklich waren. Er befragt den inzwischen erwachsenen Sohn, alte Freunde, auch die „Trophy Frau“. Als er immer tiefer eintaucht stellt sich für ihn – vielleicht zu spät? – die Frage, ob es Lucy gelingt, ihn mit sich herabzuziehen in den Strudel aus Wahn und Bitterkeit.

Rezension

Louis Begley (c) Das blaue Sofa / Club Bertelsmann

Louis Begley (c) Das blaue Sofa / Club Bertelsmann

Von Louis Begley erhalten wir einmal mehr ein sog. „Sittengemälde“ der weißen Ostküstenoberschicht der USA. Oder der WASP – der White Anglo Saxon Protestants – wie sein Schriftstellerkollege Tom Wolfe sagen würde. Die Charaktere sind trotz des geringen Seitenumfangs von 222 Seiten scharf gezeichnet und bestechen durch Widersprüchlichkeiten. Lucy de Burgh gibt augenscheinlich so viel auf ihre Herkunft und entstammt doch einer Familie, die durch Sklavenhandel zu Reichtum gelangte. Ihre Hasstiraden sind in ihrer Eloquenz amüsant und originell. Und doch hat sie auch Charme und vermag Philip – und mit ihm uns Leser – in den Bann ihrer Geschichte zu ziehen.

Thomas – der sich, da er ja bei einem Unfall starb, nicht mehr wehren kann – wird zunächst aus der Perpektive Lucys gezeichnet und erscheint als das Abziehbild des Emporkömmlings, der in der Ehe mit einer Frau aus gutem Hause nur eine weitere Karrierestufe sieht und bedenkenlos die nächste erklimmt, als er sie erreicht hat. Wie sich herausstellt: Auf seine Weise ist er ein noch größerer Snob, als Lucy, die in ihrem wahnhaften Bestehen auf Distinktion gar zum Rassismus neigt.

Nach Thomas‘ Demonantage folgt entgegen der Erwartung des Lesers Schritt für Schritt der Wideraufbau, oder jedenfalls die Vervollständigung des Bildes seiner Person, als Philip mit der Geduld des investigativen Journalisten weitere „Zeitzeugen“ auftreibt und befragt.

Begley_EheBegleys Erzählung ist amüsant geschrieben und so spannend, wie es ein Familienroman eben sein kann. Was will uns das Buch mitteilen? Begley selbst macht dazu einen Exkurs in „Erinnerungen an eine Ehe“, als er Rezensionen den Sinn abspricht und seinem Philip, der ja Schriftsteller ist, folgende Gedanken in den Mund legt:

„Meine Standardantwort – die ehrlich ist und kein lahmer Versuch, ein Koan zu prägen – lautet, dass ein Buch das sagen will, was drin steht. In diesem Sinne sind meine Romanpersonen die Summe der Handlungen und Worte, mit denen ich sie ausstatte, so dass eine Kette von deskriptiven Beiwörtern – ansehnlich, intelligent, ehrgeizig, höflich, schüchtern, kaum eine wertvolle zusätzliche Information für den Leser enthält.“ (S. 178 f.)

Und doch dreht sich „Erinnerungen an eine Ehe“ um eine stets wiederkehrende Frage: Wenn sich zwei Menschen ungleicher gesellschaftlicher Herkunft zur Ehe entschließen – war die Entscheidung des gesellschaftlich zunächst unterlegenen Partners dann von dieser Tatsache geprägt? Und wie soll das Ehepaar damit umgehen? Im Begleys Werk kommt die Ostküstenelite den Aufsteiger wohlwollend entgegen, ohne ihn anfänglich wirklich aufzunehmen. Zu unterschiedlich das Auftreten, der Habitus, die Freizeitgewohnheiten. Erst als er aus eigener Kraft zum öffentlichen Intellektuellen wird, der von Staats- und Regierungschefs zu Beratungen zum Dinner geladen wird, stellt sich die Frage nicht mehr. Lucy jedoch hält ihm seine Herkunft stets vor und gibt ihm zu verstehen: Ohne mich wärst Du nichts, also untersteh Dich, Dich ebenbürtig zu fühlen. Als die Ehe schließlich scheitert, gibt es unterschiedliche Versionen über die Schuldfrage.

Die Aufklärungswut Philips erschließt sich dem Leser zuerst nicht unbedingt. Gut, eine alte Schachten schafft es nicht, ihren Frieden mit dem ohnehin verstorbenen Exmann zu machen – so what? Erst als man beiläufig erfährt, dass Philip für ein Buch recherchiert und das recherchierte Material dazu verwenden möchte, kommt Struktur in die Sache. Die unterschiedlichen Perspektiven machen denn tatsächlich den Eindruck einer ausführlichen 360-Grad-Betrachtung und ziehen den Leser hinein in die Geschichte.

Ein wenig konstruiert scheint das Bemühen der Umgebung des verstorbenen Thomas Snow, ebendiese Perspektiven einzubringen. Die „Trophy Frau“, der Sohn, ehemalige Freunde: Sie alle erzählen äußerst bereitwillig und eigeninitiativ ihre Seite des verstorbenen Großbankiers. Warum so eifrig? Auch macht Begley die zurück liegenden sexuellen Eskapaden der Protagonistin häufiger zum Thema, als es der Plot eigentlich verlangt. Tom Wolfe, Louis Begley und John Updike sowieso – alte Romanciers, so will es scheinen, schreiben halt gerne über Sex.

Doch das sind nur unbedeutende Schattenseiten, die nicht darüber hinwegtäuschen können, dass Louis Begley mit „Erinnerungen an eine Ehe“ ein faszinierendes und wohl temperiertes Panorama der amerikanischen Oberschicht gelungen ist, das gerne auch 444 Seiten statt der 222 hätte haben dürfen.

Infos

  • Begley wurde 1933 als Ludwig Beglejter in Stryj, Polen geboren und ist polnisch-jüdischer Herkunft
  • 1991 gelang Begley mit „Lügen in Zeiten des Krieges“ ein weltweit beachteter Bestseller, der mittlerweile auch als Hörbuch verfügbar ist
  • „Erinnerungen an eine Ehe“ bei Suhrkamp
  • Website des Schriftstellers

Unsere Einordnung:

Spannung: 4

Lesefreundlichkeit: 5

Ratgeber: 4

Muss-man-gelesen-haben: 4

Allgemeinbildung: 4

(1= Kaum zutreffend / 5 = Besonders zutreffend)