Rezension von Annemarie

Woran soll man in der heutigen Zeit noch glauben? Bei den Skandalen der christlichen Kirche und auch anderer Kirchen wird das schon schwierig. Jan-Christof Scheibe, Schauspieler, Regisseur, Komponist, Texter und Künstler, Enkel zweier Pfarrer und Sohn eines Kirchenorganisten, begibt sich in diesem Band auf eine fröhlich bissige Suche nach dem Glauben – nicht unbedingt nur nach dem christlichen Glauben, sondern generell danach, woran man glauben kann. Humorvoll und schonungslos ehrlich erzählt er von seiner Suche nach dem Glauben.

Der Band besteht auf sieben Kapiteln. Nach einem einführenden ersten Kapitel erläutert Scheibe im zweiten Kapitel die Gründe contra Religionen und insbesondere contra Protestantismus. Im dritten Kapitel erklärt er denn, warum Glauben trotzdem wichtig ist. So macht er im vierten Kapitel einen Ausflug zu den Weltreligionen und deren Glauben. Im fünften Kapitel geht es dann um Spiritualität, darunter Pendeln und Reiki. Im sechsten Kapitel wird erklärt, warum das in den religiösen Schriften Überlieferte nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen muss. In Kapitel sieben zieht Scheibe sein Fazit.

Rezension

Meine erste Reaktion auf diesen Band war: Wut. Was erdreistet sich der Typ eigentlich, über die christliche Kirche dermaßen herzuziehen? Das dachte ich schon nach ein paar Absätzen. Und hatte große Lust, dieses Buch einfach in eine Ecke zu pfeffern. Ich habe es nicht getan – zum Glück! Ja, Scheibe macht sich über die Kirche(n) lustig. Und entdeckt spirituelle Fähigkeiten an sich, bei denen sich mir die Fingernägel kräuseln, wie Pendeln oder Reiki.

Scheibe provoziert. Und er polarisiert. Indem er Emotionen im Leser weckt, ihn teilweise auch wütend macht. Und das ist super. Denn anders als andere Bücher über Religion, die teils spirituell, teils auch einfach nur neutral bis unaufgeregt (okay: langweilig) nett sind und dann in eine Ecke gelegt werden und dort bis zum jüngsten Tag verstauben, bewirkt die kritische Haltung zum Inhalt, dass man automatisch seine Meinung bildet und so aus dem Buch eine Menge mitnimmt. Und nach einigem Überlegen merkte ich, dass der Autor in vielen Punkten tatsächlich recht hat.
Zudem sollte man auch wissen, dass der Autor die Ausübung des Protestantismus, wie er heutzutage in Europa gelebt wird, kritisiert – dennoch findet er Glauben allgemein wichtig und wertvoll. Dabei ist ihm weniger wichtig, woran man glaubt, als dass man glaubt.

Bemerkenswert ist, dass sich Scheibe nur vordergründig allein mit der christlichen Religion und anderen Religionen befasst. Nebenbei und im Grunde genommen parallel kommen noch viele andere Gedankengänge, etwa zur Moral und dazu, wie man sein Leben gestalten möchte, vor. Und dabei kommt er zu erstaunlich klugen und weisen Schlüssen. Das hätte ich infolge des sehr lockeren Schreibstils so nicht erwartet.

So ist das Buch gerade durch seine schonungslose Ehrlichkeit und seine Übertreibungen, durch seine Provokanz, die bewirken, dass man sich mit der Thematik wirklich auseinandersetzt und einen Standpunkt bezieht, und seine einfache wie genialen Schlussfolgerungen eines der überzeugendsten Bücher zum christlichen Glauben, die ich kenne. Insbesondere Personen, die mit der Kirche ihre Probleme haben, aber doch ganz gerne glauben möchten oder denen irgendwie etwas in ihrem atheistischen Leben fehlt, zu empfehlen. Besonders jüngere Menschen und Personen, die eher kritisch gegenüber Normen sind, werden mit diesem Band – anders als mit vielen anderen Büchern zum Thema Religion – ihre Freude haben. Strenggläubige hingegen, für die die Kirche das Ein und Alles ist, sollten bitte tunlichst von diesem Band Abstand nehmen, sofern sie keinen Herzanfall erleiden wollen.

Fazit

Ein provokantes aber erstaunlich wahres und sehr unterhaltsames und lustiges Buch über Glauben in der heutigen Zeit. Ungläubigen wie normal- bis schwachgläubigen jeder Religion infolge seines Unterhaltungs- und Informationswertes sehr zu empfehlen. Einschränkung an alle Strenggläubigen jeder Religion – insbesondere an die Mormonen (über die der Autor besonders heftig herzieht): Bitte, lasst die Finger von diesem Band.