Große Befragung der deutschen Autorenlandschaft

Hat sich das Schreibverhalten seit „Charlie Hebdo“ verändert? Wozu taugen Bestsellerlisten? Wer entscheidet eigentlich, welche Bücher in Feuilletons besprochen werden und wie sieht überhaupt  der typische Tagesablauf einer Schriftstellerin oder eines Schriftstellers aus? Fabelhafte-buecher.de hat im Februar und März 162 Literaten vom Bestsellerautor bis zum Nischenautor im gesamten deutschsprachigen Raum ausführlich befragt und dabei hochinteressante Meinungsbilder zusammengetragen.

April 2015 / mg

162 Schriftsteller befragt – Vom Newcomer bis zum Bestsellerautor

Noch unter dem frischen Eindruck des Attentats von Paris auf die Redaktion von Charlie Hebdo fordert eine große Mehrheit von 67 % der befragten Schriftsteller von ihrem Berufsstand nachdrücklich, die Meinungs- und Pressefreiheit zu verteidigen. Autoren sollen auch weiterhin Standfestigkeit zeigen und über politisch sensible Themen schreiben. Zugleich sind viele Autoren besorgt über die möglichen Konsequenzen.

„Ich gebe zu bedenken, dass wir in Zeiten leben, in denen man sich mit Bücherverbrennungen gar nicht erst aufhält. Heute geht es Autoren direkt an den Kragen“, meint etwa die Schriftstellerin und Rechtsmedizinerin Ulrike Blatter und Claus-Peter Leonhardt, Vorsitzender des deutschen Schriftsteller-verbandes in Hessen sekundiert: “Die Annäherung an Tabus der Moderne kann tödlich sein. Es sind unfreie Zeiten des Geistes”. Auch Krimiautorin Margit Kruse schlägt ähnliche Töne an: „Jeder Autor muss für sich entscheiden, wie weit er seine Meinung in einem Buch kundtut. Es mag feige klingen, ich halte mich da lieber zurück. Eine Autorenkollegin wurde jetzt nach einer Lesung bei der Leipziger Buchmesse von Islamisten zusammengeschlagen, weil ihre Meinungsäußerung in einem Krimi nicht gut ankam“. Daneben äußern einige Schriftsteller auch verhalten Kritik und warnen davor, unter dem Deckmantel der Satire unsensibel mit den religiösen Gefühlen Anderer umzugehen.

 

Bestsellerlisten – geliebt und gehasst

Foto: Monika Schillinger

Hält Bestsellerlisten für sinnvoll: Schriftsteller Klaus-Peter Wolf. Foto: Monika Schillinger

Wenig überraschend sind die Schriftsteller nahezu einhellig der Meinung, dass es wünschenswert sei, selbst einmal auf der Bestsellerliste vertreten zu sein. Dennoch äußert sich die überwiegende Mehrheit skeptisch, 36 % sogar ablehnend bis feindselig und 26 Befragte gaben gar an, die Buchrankings von Spiegel, Amazon und Co. seien wohl manipuliert. „Ich weiß aber auch, wie wir Buchhändler damals solche Listen ohne jede Zahl aus dem Gefühl heraus beliefert haben und dann auch noch Neuzugänge vorschlagen durften, da haben wir subversiv einfach unsere persönlichen Favoriten als Neuzugang lanciert“, plaudert etwa der Heilbronner Schriftsteller Jan Michaelis aus dem Nähkästchen. Seine Göttinger Kollegin Renate Schoof beruft sich auf Gerüchte: „Ich habe gehört, dass Buchhändler genau die Titel auf Bestsellerlisten setzen, die sie aufgrund der Verlagswerbung verkaufen möchten“.

Einhellig ist das Urteil freilich nicht. Vielfach schlägt den Rankings Verständnis entgegen und nicht nur Klaus-Peter Wolf – selbst Bestsellerautor – bricht eine Lanze für die Rankings: „Mir erscheinen reale Bestsellerlisten, die nach wirklichen Umsätzen zusammengestellt werden, wesentlich wichtiger als die „Bestenlisten“, die von Kritikern nach deren Gutdünken erstellt werden“. Diese eher ambivalente Haltung vieler Autoren, Bestsellerlisten abzulehnen und sich zugleich einen Platz darauf zu wünschen, fasst Ingo Munz pointiert so zusammen: „Solange ich besagte Rankings nicht anführe, werde ich sie verabscheuen!“

 

Freud und Leid mit den großen Feuilletons

59 % der Befragten beklagten sich über die geringe Vielfalt in den Buchbesprechungen der großen Feuilletons und forderten mehr Mut von den Kulturredakteuren oder prophezeien gleich deren Ende herbei. So meinte der Lyriker Christoph Danne:  „Das ist ein Ärgernis. Aber nicht weiter schlimm, da die Feuilletons als Reservat der Meinungshoheit auf akademischen Cordhosen-Niveau sowieso seine Relevanz verloren hat. Das ist Elfenbeinturm-Gefasel für Ex-Studienräte“. Immerhin fünfzehn Schriftsteller gaben hingegen an, dass die Rezensenten sehr wohl auf der Suche nach interessanten Neulingen seien.  Jan Michaelis geht neben den Feuilletonisten ähnlich unversöhnlich ins Gericht, wenn er wettert: “ Da glaube ich, wird sich nichts daran ändern lassen, denn die sind einfach zu feige, ein eigenes Urteil zu treffen, und zu faul, so viel Newcomer zu lesen. Es ist einfach bequemer, die erfolgreichen Sachen noch mal zu machen. Die Leser von Spiegel, FAZ und ZEIT wollen ja auch gar keine Entdeckungen machen.“

 

Der Schriftsteller als Marketingmaschine

Schon seit langem wird beklagt, dass Schriftsteller heute zunehmend mit Marketingaufgaben betraut sind und sich nicht länger auf die schriftstellerische Tätigkeit konzentrieren könnten. Teilweise ist das dem Umstand geschuldet, dass es bei über  100.000 Neuveröffentlichungen im deutschen Sprachraum immer schwieriger wird, sichtbar zu bleiben.  47 der 162 Autoren gaben an, mit Sorge auf die Flut an Neuveröffentlichungen zu blicken. Die moderne Anforderung an Autoren, Präsenz im Internet zu zeigen, nehmen die meisten Autoren proaktiv für sich an, indem sie sich breit in sozialen Netzwerken – hier insbesondere Facebook – und in den allermeisten Fällen mit mindestens einer eigenen Website präsentieren. Immerhin 25 % der Befragten klagen jedoch über den damit verbundenen Zeitaufwand und geben an, infolgedessen weniger Zeit zum Schreiben zu haben. Die Wiener Autorin Kirstin Breitenfellner etwa meinte: „Ein renommierter Sachbuchautor erzählte mir neulich, dass er sich noch jede Rezension selbst organisiert habe. (…) Das Diktum, dass Autoren heute ihre eigene Werbeagentur sein müssen, ist leider nur allzu wahr.“

Kirstin Breitenfellner fotografiert von Mats Bergen

„Autoren als eigene Werbeagenturen“: Kirstin Breitenfellner. Foto: Mats Bergen

Aber auch das traditionelle Instrument, die Lesung, wird nach wie vor fleißig betrieben. Einige Autoren kommen auf mehr als hundert Lesungen im Jahr, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass Lesungen für Autoren eine wesentliche Einnahmequelle bedeuten.

Nach schriftstellerischen Herausforderungen gefragt, bei denen sich Autoren schwer tun, gaben 27 % der Autoren an, nicht gerne Sexszenen zu schreiben. Obwohl das gewünscht wird. „Es ist schon so, dass man das ständig von Agenten gesagt kriegt: Du musst da mehr Sex reinbringen!“, gibt etwa der Berliner Krimiautor Stefan Holtkötter zu bedenken. Viele Autoren aber fürchten, dadurch zu viel aus dem eigenen Seelenleben preiszugeben. Kathrin Lange: „Ich kann die brutalste Mordszene schildern, im Publikum würde niemand auf die Idee kommen, dass ich die Dinge, die ich schreibe, selbst ausprobiert habe. Bei Sex sieht das schon ganz anders aus, und dieses Wissen wegzublenden, fällt nicht immer leicht“. 12 % der Autoren gaben an, Probleme mit extremen Gewalt-Szenen zu haben.

 

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