Interview mit Martin Jürgens

 

Martin Jürgens, geb. 1944, lebt in Berlin. Nach Promotion und Habilitation („Moderne und Mimesis“) Hochschullehrer bis 2001. Literarische und wissenschaftliche Publikationen seit 1967 – u. a. drei Essay-Sammlungen: „So. Über das Leben, die Kunst und den Tod“, „Seine Kunst zu zögern“ (über Robert Walser), zuletzt „Helle Ekstasen“ (zum Theater). Seit 2006 regelmäßig Beiträge für KONKRET. Theaterregie u. a.: „Jakob von Gunten“ (nach R. Walser) in Münster; in Köln „Erklärt Pereira“ von A. Tabucchi; in Berlin „Der Tod eines Bienenzüchters“ von L. Gustafsson.

Martin Jürgens

(c) Martin Jürgens

 

 

Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Die „Konkurrenz“ ist also gewaltig. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?

NEIN.

Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?

Je m’en fous!

Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?

Unter den 7 Tröstungen des Thomas von Aquin findet sich einiges: Warme Bäder, gute Gespräche mit Freunden, am besten beides.

Fabelhafte Bücher: Wenn Neulinge Sie nach einem Tipp fragen würden: Auf welches Marketinginstrument setzen Sie in erster Linie?

Auf kein solches Instrument, sondern auf Lessing: „Lese jeden Tag etwas, was sonst niemand liest. Denke jeden Tag etwas, was sonst niemand denkt. Tue jeden Tag etwas, was sonst niemand albern genug wäre, zu tun.“

Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie?

Kjell Askildsen(!), „Under milkwood“ von Dylan Thomas, Alexander Granach: Da geht ein Mensch, S. 13.

Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?

Ich empfehle die Produktion kleiner unappetitlicher Skandale, die geeignet sind, sich für den Rest des Lebens mit dem Namen des Autors zu verbinden: sich die Stirn aufschlitzen und das Blut über das Manuskript laufen lassen, penetrant unanständige Ausdrücke verwenden u. s. f.

Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?

Lesen und beherzigen Sie „Die Technik des Schriftstellers in dreizehn Thesen“ in Walter Benjamins „Einbahnstraße“.

Fabelhafte Bücher: Viele Schriftsteller tun sich beim Schreiben von Sex-Szenen ziemlich schwer. Gibt es Themen oder Situationen, bei deren Beschreibung Sie sich schwer tun?

Beim Schreiben von Sex-Szenen.

Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren insgesamt zu dem Thema?

„Zu dem Thema“: welchem? – generell: einen Umgang der nicht-zimperlichen Art.

Fabelhafte Bücher: Wenn Sie schreiben – wie strukturieren Sie Ihren Tag? Schreiben Sie, wenn Sie gerade in Stimmung sind? Oder haben Sie sich feste Zeiten reserviert?

  • Stimmungen nur in seltenen Fällen nachgeben
  • am Ball (Schreiben) bleiben
  • beim Verlassen des Hauses den aktuellen Text mitnehmen.

Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?

Es ist ein Buch im Neofelis Verlag (Berlin) mit 50 Gedichten, Titel: Frau Merkel sieht auf ihrem Schuh ein Streifenhörnchen, das sich putzt.

Die Texte in diesem Buch verdanken sich nicht inneren Motiven, sondern äußeren Anlässen – Bilder als Fundsachen: Plakate, private Aufnahmen, Gemälde, Selfies. Meist aber sind es Pressefotos aus den Agenturen. Süchtig sind wir nach ihnen, als seien sie der Wirklichkeit ganz nah und wir damit auch. Dabei sind sie oft die Nutten der Macht; sie machen uns täglich an und sind leicht zu haben. Ihnen ist nicht zu trauen.

Wenn man sie aber lange anschaut und freundlich verhört, verraten sie mehr als ihnen und der Macht lieb sein kann. Ich betreibe dies Geschäft seit über sechs Jahren monatlich in KONKRET: in meinen lyrischen Bildlegenden. Die Themen reichen von Schweini bis zur Kanzlerin inmitten des politischen Spitzenpersonals, von seiner Heiligkeit in Rom bis Obama, der im Weißen Haus am Monitor der Tötung Bin Ladens zusieht. – Und manchmal gibt es was zu sehen, das abseits von allem so schön ist, daß es nur wahr sein kann: wenn Ingeborg Bachmann mit ihrer Zigarette Hans Werner Henze Feuer gibt, wenn Charlie Chaplin sich zu den gestürzten Giganten des Pergamon -Altars setzt, wenn eine junge Frau uns über ihre Schulter ansieht in einem Gemälde Vermeers.

Fabelhafte Bücher: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.


 

Martin Jürgens im www

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