Interview mit Tim Krohn

 

© Katharina Lütscher

© Katharina Lütscher

Tim Krohn (1965) lebt mit Frau und Kindern in Sta. Maria Val Müstair. In Deutschland wurde er mit den Romanen „Irinas Buch der leichtfertigen Liebe“ und „Ans Meer“ bekannt, dazu seinem jüngsten Buch „Aus dem Leben einer Matratze bester Machart“. In der Schweiz wurden die Romane „Quatemberkinder“ und „Vrenelis Gärtli“ gefeiert, die in einer sehr helvetischen Kunstsprache geschrieben sind. Tim Krohn ist auch der Autor des „Einsiedler Welttheaters 2013“, mit über 500 Mitwirkenden wohl eines der grössten Theaterereignisse Europas.

 

Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Die „Konkurrenz“ ist also gewaltig. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?

Nein, ich schreibe nicht für den Markt, sondern für Leserinnen und Leser. Wenn mich ein Stoff berührt und ich das Gefühl habe, er könnte auch andere berühren, dann ist das mein Grund, mich hinzusetzen und mich ein, zwei, drei Jahre dieser Aufgabe zu widmen.

Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten wie beispielsweise die Spiegel-Bestseller-Liste waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?

Je demokratischer die Gesellschaft, um so mehr Kulturen haben nebeneinander Raum – anders als vor fünfzig Jahren gibt es keine vorherrschende gutbürgerliche Kultur mehr, die den Ton angibt, sondern viele gleichberechtigte Strömungen, Moden und Notwendigkeiten. Daher ist die Vermittlung heute wichtiger denn je, denn erschienen früher vielleicht fünfzig relevante Titel im Jahr, mögen es heute – alle oben genannten Kulturen zusammen genommen – fünftausend sein. Wenn eine Kultur sich also ein Ranking verordnet, das ihr hilft, die Auslese zu beschränken, habe ich dafür alles Verständnis.

Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?

Gern würde ich mit Martin Suter antworten: Durchhänger kann ich mir finanziell nicht leisten. Tatsächlich habe ich auch welche, aber es ist eine Frage, was man als Durchhänger sieht, was als Atemholen, wann man etwas als gescheitert betrachtet oder einfach als nötigen Umweg zu einem geglückten Resultat. Dass der gerade Weg selten der beste ist, sollte man als Schriftsteller akzeptieren lernen, sonst verzweifelt man schnell.

Fabelhafte Bücher: Ob Indieautor oder Verlagsautor – längst wird erwartet, dass Autoren auf ihre Leser zugehen. Lesungen reichen nicht mehr, der Autor sollte möglichst auch im Internet präsent sein. Wie viel Zeit setzen Sie ungefähr für diese Aktivitäten rund ums Buch ein?

Ich habe eine Homepage, die viele mögen, doch einen Blog oder ähnliches führe ich nicht. An Lesungen lerne ich viele Menschen kennen, die sich auch zwischendurch mal bei mir melden, ich bekomme Anrufe von Leserinnen und Lesern, manchmal kommt auch jemand bei uns vorbei, um zu schauen, wie wir so leben (wir leben traumhaft im Val Müstair, einer sehr ursprünglichen Gebirgslandschaft, in einem gut vierhundert Jahre alten Haus), meine Kontakte zu den Leserinnen und Lesern sind vielfältig und rege.

Fabelhafte Bücher: Wenn Neulinge Sie nach einem Tipp fragen würden: Auf welches Marketinginstrument setzen Sie in erster Linie?

Offenheit, Ehrlichkeit. Zeige dich als Mensch in deinen Werken und an den Lesungen, verstelle dich nicht, vertraue darauf, dass du als Mensch reicher als nötig bist. Alles andere führt zur Verflachung.

Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie?

Niemand. Ich schreibe nicht, um mich in einem literarischen Kontext zu definieren. Mein Beruf ist ein gesellschaftlicher. Ich interessiere mich für Menschen, ganz besonders für schwierige Menschen. Ihnen gilt mein Augenmerk. Dass es Bücher sind, die ich herstelle, und nicht Brote, Beratungsstunden oder Taxifahrten, ist nicht so wesentlich.

Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons, egal ob Spiegel, FAZ, ZEIT oder sonstigen Granden des Literaturbetriebs, immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?

Ist das so? Ich nehme es anders wahr. Natürlich gibt es Namen, um die eine Zeitung nicht herum kommt, weil alle das lesen möchten. Doch es gibt auch viel Neugierde und Schielen über den Gartenzaun. Mein letztes Buch – ein schmaler Erzählband – wurde (und ich bin weissgott keiner der üblichen Verdächtigen) von den oben genannten Zeitungen durchs Band euphorisch gefeiert. Das ist mir mit noch keinem Roman gelungen. Ganz so mainstream-orientiert ist die Presse offenbar nicht.

Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – welche Anfängerfehler würden Sie im Nachhinein vermeiden – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?

Kämpfe nicht darum, jeden Mist zu verlegen. Ich habe viel zu viel publiziert, unfertige, schwierige Dinge, die mir einen Ruf eingehandelt haben, schlecht lesbar zu sein. Tatsächlich bin ich alles andere als das, die Texte waren einfach teils schlecht, teils nicht zuende gearbeitet. Und das ist das zweite: Geh den Weg bis ans Ende. Offene Schlüsse sind oft Selbstbetrug, man mag sich einfach nicht entscheiden. Ein „genialer“ Stil ist oft Selbstbetrug, man ist schlicht zu faul, um eine treffende UND verständliche Formulierung zu ringen. Ein Buch, das bis ins Letzte gearbeitet ist, erschließt sich allen und hat gleichzeitig eine fast bodenlose Tiefe. Das jedenfalls sollte das Ziel sein.

Fabelhafte Bücher: Viele Schriftsteller tun sich beim Schreiben von Sex-Szenen ziemlich schwer. Gibt es Themen oder Situationen, bei deren Beschreibung Sie sich schwer tun?

Nicht bei Sex. :-) Tatsächlich mache ich inzwischen einen Bogen um Gewaltszenen, ich will das einfach nicht mehr haben. Das mag damit zu tun haben, dass ich nun Kinder habe, und Kinder machen emotional verletzlich.

Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren insgesamt zu dem Thema?

Wenn ich vorhin postuliert habe, dass man sich immer als Mensch zeigen und einbringen muss, gilt das natürlich auch hier. Ich sage, was ich denke, wo ich stehe – und respektiere gleichzeitig jeden anderen Standpunkt. Gerade in jüngster Zeit, da wir in einer sehr verlassene Gegend gezogen sind, habe ich begriffen, dass der „Standpunkt“ eine sehr reelle Größe ist. Ich weiß nicht, wie ich über viele Fragend denken würde, wenn ich hier aufgewachsen wäre. Meine Meinung mag an einem bestimmten Ort ihre Berechtigung haben, an einem anderen ist sie falsch. Alles in der Welt ist relativ, deshalb sollte man die Menschen über alles lieben und sich selbst nicht zu wichtig nehmen.

Fabelhafte Bücher: Wenn Sie schreiben – wie strukturieren Sie Ihren Tag? Schreiben Sie, wenn Sie gerade in Stimmung sind? Oder haben Sie sich feste Zeiten reserviert?

Mit zwei kleinen Kindern stellt sich diese Frage anders: Wann kann meine Frau mich am ehesten entbehren? Momentan ist das nachmittags zwischen zwei und sechs, darin muss alles Platz haben. Wenn ich sehr viel Glück habe, schläft abends eines der Kinder problemlos ein, dann habe ich da nochmals zwei (müde) Stunden für Büroarbeit – wie jetzt.

Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?

Ich arbeite immer an mehreren Stoffen parallel – es kann sein, dass mich einer zehn Jahre lang begleitet, ehe ein Buch daraus wird. Im Lektorat ist ein Buch mit Geschichten über die Nacht, in Arbeit ein erotischer Roman, der auch ein Spiel mit verschiedenen möglichen Identitäten in einer Großstadt ist. Und ebenfalls in Arbeit ist ein Roman über Adam und Eva, der – ebenfalls sehr spielerisch – die Frage untersucht, was den Menschen zum Menschen macht, im Guten wie im Bösen. Und schließlich schreibe und forsche ich schon seit langem an einem Roman über zwei jüdische Frauen in Berlin von 1900 bis 1940, eine Zeitspanne, in der alle Menschen sich alle paar Jahre neu entwerfen mussten, ganz besonders Juden, ganz besonders Frauen, am allermeisten jüdische Frauen. Doch dieser Stoff wird noch lange gären müssen, bis ein Buch da ist.

Fabelhafte Bücher: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.


Tim Krohn im www