Interview mit Ulrike Blatter

 

(c) Ulrike Blatter

(c) Ulrike Blatter

Ulrike Blatter wurde 1962 in Köln geboren; die Ärztin machte eine therapeutische Weiterbildung und promovierte in Rechtsmedizin. Zuletzt arbeitete sie als Klinikärztin in der Psychiatrie.
Knapp fünfjähriger Aufenthalt in Slowenien. Seit dieser Zeit ehrenamtliches Engagement für Suchtprävention und für kriegstraumatisierte Menschen auf dem Balkan – Themen, die sich auch in ihren Texten wiederfinden. Die Autorin wurde für ihre Texte ausgezeichnet und erhielt mehrere Schreibstipendien.

 

Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Die „Konkurrenz“ ist also gewaltig. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?

Ulrike Blatter: Nein. Wenn ich ein neues Buch in Angriff nehme, dann denke ich ausschließlich über die Geschichte nach, die unbedingt erzählt werden will. Das Erschrecken über den „Bücher-Tsunami“ beginnt sowieso früh genug – spätestens auf der Buchmesse …

Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten wie beispielsweise die Spiegel-Bestseller-Liste waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?

Ulrike Blatter: Wenn man weiß, wie solche Rankings zustande kommen, dann sollten einen solche Listen als Autor nicht belasten. Ich setze auf gute Buchhändler, die meine Titel auch mal in den Regalen ‚nach vorne‘ stellen und die Bücher, welche sie ihren Kunden empfehlen, selbst gelesen haben.

Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?

Ulrike Blatter: Lange Spaziergänge mit dem Hund. Ausschlafen. Gartenarbeit. Einfach (!) leben ….

Fabelhafte Bücher: Ob Indieautor oder Verlagsautor – längst wird erwartet, dass Autoren auf ihre Leser zugehen. Lesungen reichen nicht mehr, der Autor sollte möglichst auch im Internet präsent sein. Wie viel Zeit setzen Sie ungefähr für diese Aktivitäten rund ums Buch ein?

Ulrike Blatter: Manchmal zu viel … aber andererseits bekomme ich von meinen Leserinnen und Lesern über soziale Netzwerke auch unglaublich viel Kraft zurück. Danke!

Fabelhafte Bücher: Wenn Neulinge Sie nach einem Tipp fragen würden: Auf welches Marketinginstrument setzen Sie in erster Linie?

Ulrike Blatter: Die wichtigste Visitenkarte ist meines Erachtens immer noch eine gute Homepage. Man sollte sich bei der Gestaltung gut überlegen, wen man in erster Linie ansprechen will: Verleger, Veranstalter oder Leser.

Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie?

Ulrike Blatter: Oh je … wie soll ich das nur beantworten … es sind viel zu viele. Vor allem Frauen. Vor allem englischsprachige Autorinnen von Short Stories … Die beiden Alices, die ich liebe und immer wieder neu lese: Alice Walker und Alice Munro. Auf eine einsame Insel würde ich wahrscheinlich eine Shakespeare-und eine Edgar-Allen-Poe-Gesamtausgabe mitnehmen . Edgar Allen Poe allerdings nur auf eine Südesse-Insel bei garantiert gutem Wetter …

Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons, egal ob Spiegel, FAZ, ZEIT oder sonstigen Granden des Literaturbetriebs, immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?

Ulrike Blatter: Keine Ahnung. Oder sagen wir es so: ich denke mir meinen Teil. Aber das sage ich hier nicht. Denn wer weiß, vielleicht interessiert sich irgendwann einmal einer dieser Herren (!!) für mich und liest, was ich hier geschrieben habe – und dann ist es aus mit meiner Karriere? Nein, im Ernst: ich werde in Botox investieren und in schöne Buchcover. Außerdem werde ich die Titelauswahl an der Bestsellerliste der letzten sechs Monate orientieren und dann wird’s schon was …

Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – welche Anfängerfehler würden Sie im Nachhinein vermeiden – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?

Ulrike Blatter: Am wichtigsten: Nehmt Euch Zeit und nochmals Zeit. Kein Mensch muss jedes Jahr einen Roman schreiben! Probiert aus, welches Genre Euch liegt. Ihr habt eine tolle Idee? Aber gibt es auch eine Geschichte zu dieser Idee? Trägt diese Geschichte über einen Roman oder ‚nur‘ über eine Kurzgeschichte? Versucht Euch in verschiedenen Genres – Fantasy, Krimi, Sciene-Fiction oder, oder, oder … Probiert es einfach aus. Denkt nicht ununterbrochen darüber nach, ob dieses Buch ein Erfolg wird – konzentriert Euch aufs Schreiben!

Ulrike Blatter: Sucht euch einen Mentor bzw. eine Mentorin – ein tolles Beispiel ist dafür ist das Mentoringprogramm der Mörderischen Schwestern.
Schreibkurse bzw. die Begleitung durch eine Schreibwerkstatt sind ebenfalls gute Ideen. Nehmt an seriösen Schreibwettbewerben teil, stellt euch der Kritik eurer Testleser, aber lasst euch nicht kirre machen.

Fabelhafte Bücher: Viele Schriftsteller tun sich beim Schreiben von Sex-Szenen ziemlich schwer. Gibt es Themen oder Situationen, bei deren Beschreibung Sie sich schwer tun? 

Ulrike Blatter: Explizite Gewalt-Darstellungen, obwohl sie mir gelegentlich gelingen. Das hängt damit zusammen, dass ich beruflich über Jahre mit extremer Gewalt zu tun hatte und es mich viel Arbeit gekostet hat, diese Bilder aus dem Kopf zu bekommen. Gewalt darzustellen bedeutet für mich immer eine emotionale Gratwanderung.

Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren insgesamt zu dem Thema?

Ulrike Blatter: Meine beiden erfolgreichsten Bücher wurden von Verlagen abgelehnt, da zu politisch („Der Mann, der niemals töten wollte“ und „Nur noch das nackte Leben“). Thematisch ging es unter anderem um Kriegstraumatisierungen. Rückblickend möchte ich sagen, dass ich damals vielleicht einfach zu früh dran war mit den Themen und warten musste, bis die Zeit (oder der Markt?) reif dafür waren. Die Bücher nicht zu schreiben, wäre für mich keine Option gewesen.
Will sagen: Schriftsteller dienen als Seismografen politischer und gesellschaftlicher Prozesse. Den Finger in Wunden legen, Zuspitzen, auch bis zur Unerträglichkeit, Polarisieren – all dies gehört dazu. Man sollte sich jedoch überlegen, welche Inhalte wohin passen. Es ist nicht gleichgültig, ob ich Essays, Reportagen oder Romane schreibe. „Die Satire darf alles“, sagte Tucholsky. Dieses Zitat wurde nach Charlie Hebdo kontrovers diskutiert. Der Tabubruch gehört zum Schreiben jedoch dazu. Gar nicht so selten werden Autoren mit ihren Figuren verwechselt. Das kann gravierende Auswirkungen haben.

Ich gebe zu bedenken, dass wir in Zeiten leben, in denen man sich mit Bücherverbrennungen gar nicht erst aufhält: Heute geht es Autoren direkt an den Kragen. Es wurden noch nie so viele Journalisten in Ausübung ihres Berufes umgebracht, wie in den letzten Jahren. Mordaufrufe gegen missliebige Schriftsteller gibt es nicht erst seit Salman Rushdie und wird es immer geben. Es steht mir nicht zu, Autoren Tipps zum Umgang mit sensiblen Themen zu geben, sondern ich erhoffe einen offenen Umgang in gesellschaftlichen Diskussionen (dass ich diesen Umgang erwarte, wage ich kaum zu erwähnen …)

Man muss aber heutzutage noch nicht einmal die jungfräuliche Geburt Jesu anzweifeln oder den Propheten als Kinderschänder bezeichnen, um einen Shitstorm loszutreten. Es reicht ja schon, das Wort ‚Neger‘ in einem Text einzubauen. Axel Hacke hat dies mit seinem durch und durch NICHT-rassistischem Buch vom ‚Neger Wumbaba‘ mehr als schmerzhaft erfahren müssen. In diesem Zusammenhang also auch noch ein Wort zur politcal correctness. Marius Jung (schwarzhäutig – das ist in diesem Zusammenhang wichtig!) schreibt in seinem „Handbuch für Negerfreunde“: „In der Auseinandersetzung mit den Formulierungen von Astrid Lindgren und Ottfried Preußler können wir mehr gegen Rassismus tun als mit der – hi hi: Schwärzung dieser Wörter.“ Dem ist nichts hinzuzusetzen.

Fabelhafte Bücher: Wenn Sie schreiben – wie strukturieren Sie Ihren Tag? Schreiben Sie, wenn Sie gerade in Stimmung sind? Oder haben Sie sich feste Zeiten reserviert?

Ulrike Blatter: Ich schreibe monatelang zu festen Zeiten. Im Endspurt schreibe ich Tag und Nacht …

Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?

Ulrike Blatter: Mein vierter Roman spielt rund um den Einsturz des Kölner Stadtarchivs und beschäftigt sich mit dem kollektiven Gedächtnis einer Stadt. Hauptfigur ist eine halbseidene Wahrsagerin. Ein Netz gegenseitiger Abhängigkeiten, Geschichtsfälschung und Erbschleicherei gestalten die kriminelle Rahmenhandlung. Mehr möchte ich dazu noch nicht verraten.

Fabelhafte Bücher: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.

Weitere Hintergründe über die Autorin:

Ulrike Blatter engagiert sich seit vielen Jahren in Zusammenarbeit mit Schulen und Bibliotheken, für die Leseförderung bei Kindern.
Ulrike Blatter ist Mitglied im “Verband deutscher Schriftsteller”, bei den “Mörderischen Schwestern” und im “Syndikat”.

Ulrike Blatter im www