Rezension von Lisa

William Stoner, dem Sohn zweier armer Farmer im mittleren Westen der USA, gelingt ein seltener Sprung: Er wird zur Universität geschickt und mithilfe harter Arbeit und seiner Liebe zur Literatur wird er schließlich sogar Professor an seiner Alma Mater.

Es ist die Geschichte des stoischen und genügsamen Lebens eines Menschen, der von der Wiege bis zur Bahre im Herzen stets einsam blieb. „Ein Leben darüber, was es heißt Mensch zu sein“, verspricht der Klappentext, und in der Tat erlebt Stoner alles, was Männern im Leben so zustoßen mag: Beruf, Ehe, Vaterschaft, Intrige, Krieg. Eigentlich schon 1967 erschienen, wurde „Stoner“ 2006 wiederentdeckt, aus dem Stand zum Bestseller und seither in 10 Sprachen übersetzt. Das das Buch zum Bestseller avanciert war lange Jahre nicht absehbar – ein schöner später Erfolg.

Rezension

Schnörkellos, berührend und anmutig ist John Williams‘ Sprache, in der er eindringlich die Geschichte des William Stoner von seiner Geburt bis zu seinem Krebstod schildert. Zunächst scheint es eine amerikanische Geschichte zu sein – von einem der auszog, seine Klasse und Herkunft zu überwinden und zu höchster Bildung zu gelangen. Alles aus Fleiß und schierer Tatkraft. Doch schnell wird klar: Er ist darüber hinaus bar jeden Ehrgeizes, dieser Assistenzprofessor an einer Universität in Missouri.

Ein entscheidender Wendepunkt in seinem Leben ist die Heirat einer jungen Frau, die er kaum kennt, und die sich später als offenbar psychisch gestört herausstellt. Wirklich deutlich wird dies erst nach der Geburt des Kindes, Greta. Im Laufe der Jahre wird er Opfer einer doppelten Intrige: Zuhause richtet die Ehefrau ihre ganze Kraft darauf, dem Mann das geliebte Kind abspenstig zu machen, an der Universität intrigiert der Fachbereichsleiter mit jahrelangem Engagement und nie versiegenden Hass gegen Stoner.

Was den Protagonisten immer wieder „rettet“, ist sein unerschütterlicher, stoischer Gleichmut.  Es gibt dies eine Talent, das bei Stoner sehr ausgeprägt ist: Seine Leidensfähigkeit gegen die Zumutungen, die das menschliche Miteinander im Extremfall bereit hält. Und noch etwas bietet ihm Zuflucht: Seine Liebe zur Arbeit. Bücher bieten immer wieder seelisches Obdach und Trost. Merkwürdig scheint nur, dass Stoner sich bei all der Lektüre nicht auch einmal den ein oder anderen Tipp gleichsam erlesen konnte, wie mit Intriganten zu verfahren sei.

Seine Liebe zum Buch ist heilig und ernst. Und nur auf diesem Gebiet bietet er bei einer Gelegenheit die Stirn und trägt einen epischen und erbitterten Konflikt aus, als ein offensichtlich ungeeigneter Doktorand die höheren akademischen Weihen erhalten soll. Als ihm von seiner gehässigen Frau das Kind genommen wird, fehlt ihm diese Kraft. Und so hadert man als Leser mit der Figur des „Willy“ Stoner, wie seine Frau ihn nennt. Man sympathisiert, man wünscht ihm Erfolg, doch man fasst sich an die Stirn ob seiner Entscheidungen und seines übertriebenen Gleichmuts. Von der zunächst vermuteten Story über den amerikanischen Traum bleibt nichts – Stoners Leben bleibt in fast allen Phasen einsam. Sein Dasein ist letztlich keine Erfolgsstory. Zumindest per Saldo.

Wie es Williams gelingt, aus dem Jedermanns-Leben Stoners dennoch ein so ergreifendes und sogar spannendes Buch zu machen, ist schlicht Kunst. Man legt es nicht weg, bis es gelesen ist. Einiges schmerzt, führt mitunter auch zu melancholischen Stimmungen, doch Stoner regt unwillkürlich auch zum Nachdenken über das eigene Leben an.

Infos

  • John Williams (1922 – 1994) lehrte selbst als Literaturdozent in Denver, Colorado
  • 1973 erhielt er den renomierten National Book Award für sein Werk über den römischen Kaiser Augustus
  • Williams war viermal verheiratet.
  • Biografie auf der Website der New York Times
  • Autorenportrait des Bestseller-Autors beim Verlag dtv