Rezension von Anjana

Inhalt

Ophelia lebt auf der friedlichen Arche Anima. Am liebsten versteckt sie sich hinter ihrer Brille und einem langen Schal. Dabei hat die junge Frau ganz besondere Talente: Sie kann Gegenstände lesen und durch Spiegel reisen. Eines Tages wird ihr jedoch Unheilvolles verkündet: Sie soll auf den eisigen Pol ziehen und den Adligen Thorn heiraten. Wer ist der Mann, mit dem sie von nun an leben soll? Und warum wurde ausgerechnet sie auserkoren? Ohne zu wissen, was sie erwartet, macht sich Ophelia auf den Weg in ihr neues, blitzgefährliches Zuhause.

Sprachlich/Literarisch

Der Fantasy-Roman von Christelle Dabos ist der Auftakt einer Tetralogie und gliedert sich in zwei Teile mit jeweils 18 beziehungsweise 19 Kapiteln. Dabei sind die Kapitelüberschriften, die meist nur aus ein bis zwei Wörtern bestehen, ein schönes Detail. Zwar kann man aus dem Titel nicht herauslesen, worum es im Kapitel geht, aber es zeigt doch, dass die Autorin eine Liebe fürs Detail zeigt, was sich im gesamten Roman wiederspiegelt.

Erzählt wird von einem personalen Erzähler, der sich den Großteil des Romans bei dem Hauptcharakter Ophelia aufhält und nur für kleine Sequenzen zu anderen Figuren springt. Somit wird dem Leser von Anfang an die Gelegenheit gegeben, sich gut in das Mädchen einzufühlen, gleichzeitig erhält er aber auch durch die Umschwenker wichtige Infos, um beispielsweise die Situation besser zu verstehen oder Absichten andere Figuren zu begreifen. Der Schreibstil der Autorin ist angenehm und flüssig zu lesen.

Besonders hervorzuheben ist der Unterschied zwischen der Sprache der Charaktere und dem erzählenden Text zwischen der wörtlichen Rede. Die gesprochenen Worte der Figuren wirken beinahe wie aus alter Literatur, die Ausdrucksweise lässt an einen historischen Roman erinnern. Im Gegensatz dazu wirkt der Zwischentext gesetzter, umgangssprachlicher. Auch Metaphern, selbst Schimpfwörter sind das das Sprachbild angepasst, so soll Ophelia beispielsweise mit dem „Mummenschanz“ aufhören oder Tante Roseline schimpft mit „Heiliger Pferdestriegel“ über die verknoteten Haare und flucht über „diese vermaledeite Oper“.

Damit ist ein deutlicher Unterschied zwischen dem, was gesagt wird, und dem was geschieht oder gedacht wird, zu erkennen. Alle Personen wirken wohlerzogen, sie achten auf das, was sie sagen, in den Gedanken geht es aber auch anders zu. Beeindrucken ist, wie konsequent Dabos das bis zum Ende des 535-seitigen Romans durchhält.

Bedenkt man, dass es sich hier um eine Übersetzung aus dem Französischen handelt, so ist auch der Übersetzerin Amelie Thoma ein deutliches Lob auszusprechen, dass sie die beabsichtigten sprachlichen Unterschiede der Autorin so gut umgesetzt hat.

Handlung

Die Herausforderung bei einer sich über mehrere Bände ziehende Handlung ist es, im Auftakt die Latte nicht allzu hoch zu setzen, um mit den Folgebänden mithalten zu können oder sich gar zu steigern, gleichzeitig die Leser aber so zu fesseln, dass sie dran bleiben und das Erscheinen des nächsten Teils herbeisehnen. Außerdem gilt es, ein über 500 Seiten dickes, in Hardcover gebundenes Buch zu füllen und dabei nicht zu langatmig zu werden.

In „Die Verlobten des Winters“ ist es der Autorin gelungen, Themen, die in der Fantasy-Literatur des Öfteren vorkommen, Heimat, Fremde, Liebe, Verrat, ein gefährlicher Adelshof, in eine neue Hülle zu verpacken, die sich den Klischees entzieht und gleichzeitig doch Fantasy bleibt. Die Archen als die fremde, fantastische Welt(en), die zweifelsohne erwartet wird, die aber nicht ganz so fremd zu sein scheinen, da sie Überbleibsel der alten (unseren) sind. Die Kräfte der verschiedenen Familien beziehungsweise Klans, damit ein bisschen Magie im Spiel ist.

Die Handlung an sich ist logisch aufgebaut, in den ersten Kapiteln wird das Grundproblem, die Heirat von Ophelia mit einem ihr völlig fremden Mann und ihre Angst, auf eine andere Arche und damit in eine völlig neue Welt zu kommen, schnell dargestellt.

Jedoch scheint dieses Problem nicht mehr das größte zu sein, als das Mädchen in seiner neuen Heimat angekommen ist und sich zeigt, in welche Gefahr es sich dadurch, ungewollt, begibt. Weiter geht es mit Hindernissen, die es zu überwinden gilt, um sich zu behaupten oder einfach am Leben zu bleiben.

Durch solche Wendungen oder kleinere Herausforderungen, denen sich Ophelia stellen muss, hält die Autorin die Leser bei der Stange und kommt damit sehr gut ohne einen großen, sich immer weiter steigernden Spannungsbogen aus. Die Handlungen an sich sind dabei nicht langatmig, auch geschieht immer etwas neues, sodass die Seiten gut gefüllt werden.

Interessant ist die Mischung von Altem und Traditionellem was Lebensstil und Kleidung angeht (die Verwendung von Kutschen, der Tanz, Pagen und Zofen), und Neuem, wie Telefone, Automobile und Zeppeline.

Auch hier schafft die Autorin einen ganz besonderen Charme der Welt, in der die Menschen auf Archen leben und von der Vergangenheit eigentlich nicht viel wissen.

Wie schon zu Anfang erwähnt, scheint Christelle Dabos eine Liebe fürs Detail zu haben, besonders die Beschreibungen der Umgebung sind ausgeschmückt und hervorgehoben, sodass der Leser in die Situation eintauchen und miterleben kann, was die Charaktere gerade erleben.

Das Ende ist von der Autorin ebenfalls gut gesetzt. Sie hat eine Stelle ausgewählt, an der Ophelia aus ihrer derzeitigen misslichen Lage befreit wurde und die ersten großen Hürden in ihrem neuen Leben gemeistert hat, ohne dabei „den Kopf zu verlieren“. Außerdem schaut sie auf etwas kommendes Großes, eine neue Herausforderung, die aber so ganz anders ist als das Leben in der Himmelsburg, das sie als Page verkleidet führen musste.

Personen

Die Anzahl der handelnden Figuren im Buch ist beachtlich, trotzdem behält der Leser den Überblick, was sowohl an der alleinigen Verwendung der Vornamen als auch den ausgefeilten Charakteren liegt, durch die jede Person einen Eindruck hinterlässt und man sie bei erneutem Auftreten schnell zuordnen kann.

Allgemein sind die Charakteristiken der Figuren und die Beziehung untereinander stabil und konsequent, jeder bleibt seiner vorgegebenen Rolle treu.

Besonders liebenswert ist Ophelia. Das Mädchen, welches eigentlich schon eine junge Frau ist, zieht den Leser mit seiner etwas zurückgezogenen, aber klugen und tapferen Art in seinen Bann, selbst seine Tollpatschigkeit trägt dazu bei, dass man die Hauptprotagonistin einfach gern haben musst.

Doch auch der junge Mann Thorn, der zukünftige Ehemann von Ophelia, bringt durch sein unnahbares Auftreten gepaart mit schneidender Intelligenz ein „gewisses Etwas“, dem man sich schwer entziehen kann.

Die Beziehung der beiden ist für den Leser schon fast eine Herausforderung. Einerseits wünscht man sich, dass sich die beiden etwas näher kommen, sollen sie doch schon bald heiraten und den Rest des Lebens miteinander verbringen, andererseits will man Ophelia vor diesem kaltherzigen Mann schützen, dem scheinbar nicht viel an seiner Verlobten liegt. Paradox wird es an der Stelle, an der Thorn scheinbar so etwas wie Fürsorge für Ophelia zeigt, man jedoch durch die Erlebnisse des Mädchen erfährt, dass es nur ausgenutzt werden soll.

Eine ganz besondere Figur, wenn auch kein Mensch im eigentlichen Sinne, ist Ophelias Schal, der einen das eine oder andere Mal zum Schmunzeln bringt.

Gesamtbild

Mit „Die Verlobten des Winters“. Dem ersten Band der Spiegelreisenden-Tetralogie, hat Christelle Dabos einen besonderen Fantasy-Roman geschaffen, der mit Größen wie Panem oder Harry Potter eindeutig mithalten kann. Mit originellen Ideen und interessanter Umsetzung zieht die Autorin die Leser mit hinein in das Geschehen. Sie gibt dem Leser genügen Zeit, die Zusammenhänge zu verstehen oder stellt genug Infos bereit, um selbst Schlussfolgerungen über das Leben auf den Archen zu ziehen.

Der Roman lebt nicht von einer großen Spannungskurve, sondern von interessanten Entwicklungen und unvorhergesehenen Wendungen. Der Leser hat genau so wenig Ahnung, wie es in Ophelias Leben weitergeht, wie die Hauptfigur selbst.

Das Werk erzeugt beim Leser fast schon Sehnsucht, sich in diese Welt hineinzuversetzen und mitzuerleben, wie es auf dem Pol, der Arche, auf der Ophelia jetzt lebt, zugeht. Ganz wertvoll ist das Gefühl, die Handlung würde ohne einen weiterlaufen, sobald man das Buch zur Seite legt. Genau das verspürt der Leser hier.

Der Roman erhält für dieses tolle Gesamtpaket eine absolute Leseempfehlung, mit Spannung wird der nächste Teil erwartet.