Rezension von Anjana

Inhalt

Ophelia ist nun seit einiger Zeit auf dem Pol und hat auf Berenildes Anwesen und im Mondscheinpalast so einiges erlebt. Jetzt soll sie dem Familiengeist Faruk vorgestellt werden – und dafür sorgen, dass sie, ihre Tante und ihr Verlobter Thorn in seiner Gunst bleiben. Womit sie nicht gerechnet hat: zur Vize-Erzählerin ernannt zu werden. Und als sei das noch nicht schlimm genug, geschehen um sie herum seltsame Dinge. Prominente Bewohner des Mondscheinpalastes verschwinden, Thorn wird angegriffen und sie selbst erhält seltsame Drohbriefe. Und ehe sie es sich versieht, steckt sie mitten drin in den Geschehnissen – und findet Verbündete, wo sie im ersten Moment keine erwartet hat.

Sprachlich / Literarisch

Der zweite Teil von Christelle Dabos` Tetralogie „Die Spiegelreisende“ teilt sich wie das erste Buch in zwei Teile mit 18 und 32 Kapiteln. Auch die Kapitelüberschriften sind wieder kurz und prägnant und machen neugierig auf den Inhalt der folgenden Seiten. Ein schöner Zusatz sind die dem ersten Teil vorgeschobenen Seiten, die eine Übersicht über das bisher Geschehene sowie die Familien des Pols als auch den Aufbau der Himmelsburg geben.

Dabos bleibt ihrem Schreibstil treu, wieder handelt es sich um einen personalen Erzähler mit dem Hauptaugenmerkt auf Ophelia. Eingeschoben sind Kapitel, die den Namen „Fragment“ tragen und bei denen am Anfang noch nicht ganz klar ist, aus welcher Sicht berichtet wird. Es handelt sich um Erinnerungsfetzen, mit denen das Postskriptum aus dem ersten Band aufgegriffen wird. Auch wenn sich nach und nach aufklärt, wem diese Erinnerungen gehören, ist noch nicht ganz klar, welchen Zweck sie im Rahmen der Gesamthandlung haben.

Anders als im ersten Band ist die Sprache der Figuren in der wörtlichen Rede weniger förmlich und umgangssprachlicher, wodurch sich die Anpassung an die Situation zeigt, in der sich Ophelia und die anderen gerade befinden. Wie eh und je sind aber die Verwendung von angepassten Schimpfwörtern, sprachlichen Bildern und Metaphern.

Sowohl die Autorin als auch die Übersetzerin Amelie Thoma haben wieder tolle Arbeit geleistet.

Handlung

Die in der Rezension zum ersten Band angesprochene Herausforderung, die im Auftakt der Reihe angelegten Messlatte zu überschreiten, hat Dabos mit dem zweiten Band gut gemeistert. Sie knüpft mit der Handlung nahtlos an den Abschluss von „Die Verlobten des Winters“ an und kann dem schnellen Takt, der die Handlung folgt und den sie zum Anfang vorgegeben hat, weiter folgen. Auch die Schwerpunkte der Themen bleiben gleich, so überwiegt nicht der Konflikt zwischen Ophelia und Thorn, die sich ja bisher noch nicht grün gewesen zu sein schienen, mehr geht es um das Überleben am Hof und den Ruf, den die junge Dame aus Anima, Roseline und Berenilde zu erhalten versuchen.

Es ergeben sich allerdings auch neue Konflikte, die auch schnell in den Vordergrund rückeb. Vor allem das Verschwinden der prominenten Persönlichkeiten aus dem Mondscheinpalast erschüttert als Problem die ganze Himmelsburg.

Dass Ophelia in diesen Konflikt mit hineingezogen wird, scheint unumgänglich, da sich, durch ihre anbahnende Hochzeit mit Thorn, der verzweifelt versucht, alle Verantwortung auf sich zu nehmen und alle Probleme allein zu lösen, der Fokus des gesamten Lebens am Hof immer mehr in ihre Richtung verschiebt.

Was die Ausgestaltung von Figuren und Umgebung angeht, so bleibt es bei der Mischung von alt und neu, historisch und modern mit einem Hauch Magie, was im ersten Teil schon begeistert hat.

Aufgefallen ist aber auch, dass Christelle Dabos im zweiten Band nicht so viel Hingabe in die Detailbeschreibung von Umgebung und Co. gesteckt hat, sondern der Gesamtschwerpunkt des Werkes eher auf der Handlung liegt. Jedoch könnte man auch diesen Umstand mit der rasanten Entwicklung der Handlung und dem Aufbau der Spannung erklären, die dazu führen, dass sich Ophelias Leben überschlägt.

Das Ende kommt unerwartet, da der Leser vermutet, dass es Ophelia gelingt, die Verschwundenen rechtzeitig zu finden, der Vertrag zwischen Thorn und Faruk erfüllt wird und das Mädchen aus Anima ihren Platz am Pol einnimmt. Da genau das nicht passiert, es auf Umwegen trotzdem zur Vermählung kommt und Ophelia zu guter Letzt den Pol wieder verlässt, läutet sich eine neue Entwicklung ein, mit der nicht gerechnet wird.

Einerseits ruft das beim Leser ein „mulmiges“ Gefühl hervor, andererseits schafft Dabos dadurch die Bedingungen für die Fortsetzung, da jeder wissen will, was sie nun aus der Situation macht.

Das Ende wirkt auch zu der, trotz der Schnelllebigkeit strukturierten und durchdachten Handlung, etwas chaotisch und hektisch. Es ist, als hätten sich Dabos‘ Gedanken überschlagen und es ist ihr nicht ganz gelungen, sie so wie den Rest des Buchs aufs Papier zu bringen.

Personen

Die Autorin hat im zweiten Band die Charaktere so aufgefangen, wie sie aus dem ersten Band herausgekommen sind. Sie machen jedoch in „Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast“ mehr Entwicklung und Veränderung durch als in „Die Verlobten des Winters“. Vor allen bei Thorn, der schon gegen Ende des ersten Bandes liebenswerte Züge entwickelt hat, kämpft sich an vielen Stellen zum Liebling unter den handelnden Personen herauf. Vor allem auffällig ist aber die Veränderung der Beziehungen zwischen den Charakteren, vor allem die von Ophelia und Thorn, zwischen denen zu der bisherigen Zweckgemeinschaft eine Art Bindung entsteht, als auch zwischen Berenilde und Ophelia beziehungsweise Roseline. Die Frauen haben verstanden, wie sehr sie aufeinander angewiesen sind und haben sich schätzen gelernt. Zum Ende entstehen sogar Freundschaften.

Schön ist, dass Dabos‘ Figuren, die durch die fortschreitende Handlung mit dem Ende von Band eins „Geschichte waren“, wieder auftauchen. Beispielsweise Reineke, der der als Page verkleideten Ophelia geholfen hat, sich im Mondscheinpalast zurechtzufinden, kommt jetzt als Freund und ernannter Assistent von eben dieser wieder und trägt seinen Teil der Handlung bei.

Gesamtbild

Mit „Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast“ hat Christelle Dabos ihre Fantasy-Reihe erfolgreich weitergeführt. Sie ist ihrem Stil treu geblieben und hat die Schwerpunkte des ersten Bandes aufgenommen und weitergestrickt. Mit den neuen Handlungsentwicklungen beweist sie, dass die Geschichte weitergeht und nicht auf der Stelle tritt – so, wie das Leben einer jeden Person vielfältig ist und nicht an ein paar einzelnen Strängen verläuft. Mit den eingebrachten Gedanken und Gefühlen der Charaktere fällt es dem Leser leicht, sich in die Figuren hineinzuversetzen und mit ihnen durch das rasante Leben auf dem Pol zu gehen.

Das Ende des zweiten Bandes bringt große Erwartungen auf die Fortsetzung und schlägt eine neue Richtung ein, die etwas unerwartet kommt, jedoch interessant werden kann.

Christelle Dabos steht nur vor der Herausforderung, im folgenden Band die Stränge aufzunehmen und neu zu ordnen.

Auch dieser Teil der „Spiegelreisenden-Saga“ erhält eine Leseempfehlung.