Rezension von Anastasia
In der Adventszeit erscheinen immer viele neue weihnachtliche Kinderbücher. Eines dieser Bücher in diesem Jahr (2018) ist Die Schneeschwester von Maja Lunde. In Zusammenarbeit mit der Illustratorin Lisa Aisato hat sie einen zauberhaften Graphic Novel mit 24 Kapiteln geschaffen, der pure Weihnachtsstimmung ausstrahlt – und das bereits auf den ersten Blick. Das Cover strahlt einen bereits von Weitem an – in satten Rottönen, mit Glitzerelementen, Goldverzierungen und zarten Illustrationen. Außerdem finden sich dort Details, die erst nach dem Lesen einen Sinn ergeben. Wer vom Anblick des Buches noch nicht überzeugt ist, sollte unbedingt weiterlesen.
Inhalt
Julian wurde nach dem Tag benannt, an dem er geboren ist. ‚Jul‘ heißt nämlich auf Norwegisch ‚Weihnachten‘. Daher ist es ja klar, dass Julian Weihnachten über alles liebt und sich daher schon vorher immer sehr auf diese besondere Zeit freut. Doch in diesem Jahr sieht es anders aus – keine Weihnachtsstimmung und keine Vorfreude bei ihm oder seiner Familie. Denn: vor wenigen Monaten ist seine große Schwester Juli gestorben und dies soll das erste Weihnachten ohne sie sein – ohne ihr Lachen, ihre fröhliche Natur, ihre lebensbejahende Art. Doch dann trifft Julian das rothaarige, sommersprossige Mädchen Hedvig und es beginnt eine wundervolle Freundschaft, die ihm Stück für Stück die Weihnachtsstimmung zurückbringt. Aber irgendetwas stimmt nicht mit der ‚Villa Mistel‘, in der Hedvig wohnt. Und warum trifft er nie jemanden aus ihrer Familie? Als dann öfter ein älterer Mann vor der Villa auftaucht, ist Julians Neugierde geweckt. Ob er hinter Hedvigs Geheimnis kommen wird? Und ob er es schafft, auch bei seiner Familie die Weihnachtsstimmung zurückzubringen?
Rezension
Die norwegische Autorin Maja Lunde mag den Meisten vermutlich noch kein Begriff sein, höchstens den erwachsenen Lesern, die die zwei ersten Teile ihres „Klima-Quartetts“ gelesen haben: Die Geschichte der Bienen und Die Geschichte des Wassers. Die Schneeschwester ist das erste Kinderbuch von ihr, das im deutschsprachigen Raum erschienen ist – aber hoffentlich nicht das letzte!
Viele werden beim Lesen der Inhaltsangabe vermutlich erst einmal abgeschreckt sein – so eine traurige Geschichte, so ein trauriges Thema für die Weihnachtszeit? Obwohl ich bei solchen Themen auch immer skeptisch bin, da sie mich emotional sehr mitnehmen, habe ich zu keinem Moment gezögert, die Geschichte zu lesen, habe mich direkt darauf eingelassen. Und es nicht bereut. Ja, es ist eine teilweise traurige Geschichte. Die Themen Tod und Trauer sind durch die ganze Geschichte hindurch präsent – was aber auch verständlich und realistisch ist. Der Tod der Schwester ist ein Teil der Familie und als solcher wird er zu keiner Zeit beschönigt – er wird nicht als schöner Tod, als Erlösung oder ähnliches angesehen.
Dem Leser wird auch ein tiefer Einblick in die Trauer der Familie gewährt, insbesondere durch Julian, der aus der Ich-Perspektive erzählt. So nehmen wir Teil an den unterschiedlichen Trauerprozessen, die er im Laufe der kurzen Erzählzeit durchläuft – von der ihn übermannenden Traurigkeit und Wut bis hin zu dem Bedürfnis, sich wieder an die schönen Zeiten mit Juli zu erinnern und auch selber wieder schöne Zeiten zu erleben. Aber wir erfahren durch die anderen Familienmitglieder auch über andere Formen des Umgangs mit Trauer: über Nicht-Akzeptanz, Verdrängung und Vermeidung. Und über das Verhalten Außenstehender, die plötzlich nicht mehr wissen, was sie sagen sollen. Daher bietet das Buch nicht nur die Möglichkeit, Empathieempfinden gegenüber Betroffenen zu entwickeln, sondern auch, selbst mit der eigenen Trauer – gerade in der Weihnachtszeit – besser klarzukommen und vielleicht durch diese Geschichte auch Hoffnung zu schöpfen.
Die Besonderheit der Geschichte liegt darin, wie atmosphärische Räume geschaffen, Kontraste dargestellt und Emotionen beschrieben werden.
Die Orte werden so lebendig beschrieben, so präzise dargestellt, dass man direkt denkt, man wäre ebenfalls anwesend. Auch hier werden die Kontraste deutlich. Die Wärme und Gemütlichkeit der Villa Mistel im Vergleich zur Kälte und Tonlosigkeit von Julians Zuhause. Weitere Kontraste sind die zwischen Trauer und Hoffnung, zwischen Weihnachtsstimmung und Trübsinn, zwischen Leben und Tod, zwischen Dunkelheit und Licht. Diese werden sowohl auf der Text- als auch der Bildebene deutlich.
Die Autorin versteht es, durch ihre sehr bildhafte und symbolische Sprache Emotionen so darzustellen, dass man sie nachempfinden kann. Hier werden alle Sinne angesprochen – man riecht direkt den Duft von Tannennadeln und von Clementinen, man schmeckt die heiße Schokolade, man fühlt die Wärme des Kamins und man hört das perlende, befreite Lachen der Jungen. Und nicht nur dadurch wird der Leser zu mehr Achtsamkeit und zum Nachdenken angeregt.
Eine wichtige Rolle spielt auch die Freundschaft zwischen Julian und Hedvig – die unterschiedlicher nicht sein könnten. Es geht darum, selbstlos zu sein, sich gegenseitig zu helfen, aber auch um Vertrauen, Vergebung und Loslassen. Schön ist, dass die Kinder die gemeinsame Zeit noch ‚traditionell‘ verbringen – sie spielen Spiele, bauen Schneefiguren, gehen schwimmen oder Schlittschuhlaufen – ganz ohne Smartphones und Computerspiele.
Teilweise ist die Geschichte auch sehr spannend und sogar vereinzelt etwas düster. Im Laufe der Geschehnisse gibt es so viele Fragen, auf die der Leser eine Antwort sucht, dass man das Buch kaum aus der Hand legen möchte. Dies wird noch durch die wunderbaren Illustrationen von Lisa Aisato verstärkt, die einen in ihren Bann ziehen.
Die Bilder sind liebevoll, lebendig und sehr detailliert. Sie geben oftmals hervorragend wider, was im Text beschrieben wird. Die Personen sind fast fotorealistisch dargestellt und doch abstrakt. Durch Gesichtsausdrücke, Kleidung und Körperhaltung werden Charakter und Emotionen bildlich dargestellt. Kontraste und Atmosphären werden durch die Farbwahl, die Figurendarstellungen sowie die Größenverhältnisse geschaffen. Jede Illustration für sich hat einen gewissen Zauber, sogar die wenigen, die eher grau und trist sind.
Fazit
Dieses Buch strahlt pure Weihnachtsstimmung aus – und diese Stimmung wirkt ansteckend. Zwar ist die Geschichte traurig, aber sie spendet auch Hoffnung und nimmt dem Leser immer wieder die Last der Trauer durch schöne, unbeschwerte Momente. Die märchenhafte Geschichte allein ist schon vollkommen, aber durch die wunderbaren Illustrationen wird sie zu einem Kunstwerk, das kaum zu übertreffen ist.
Eine zauberhafte, magische Weihnachtsgeschichte, die zum Nachdenken anregt und einen zugleich in eine wundervolle Welt entführt, die man so schnell nicht mehr vergessen wird. Das Buch ist sowohl für Kinder als auch für Erwachsene geeignet und kann jedes Jahr wieder zur Weihnachtszeit gelesen werden – ob alleine oder im Kreise der Familie. Es ist schwer zu sagen, ab welchem Alter das Buch zu empfehlen ist. Auf jeden Fall sollten Kinder bereits mit den Themen ‚Tod und Sterben‘ vertraut sein.
Gäbe es mehr als 5 Sterne, würde ich sie geben. Für mich die schönste Weihnachtsgeschichte, die ich bisher gelesen habe!