Rezension von Anjana
„Manchmal, wenn ich abends im Bett lag, stellte ich mir vor, dass Julius wie ein riesiger Wal durch die tiefen des Ozeans glitt“
Der Titel ist der erste, der ins Auge sticht. Herausgegriffen aus den Gedanken des Jungen Bela beschreibt er doch sehr gut, worin sich Kinder manchmal hinein flüchten, nur um der Gegenward zu entkommen oder aber um die Gegenward zu verstehen, die eigentlich viel zu groß, zu umfassend, zu erwachsen, für sie ist.
Hinter dem Titel steckt eine Geschichte voller Fragen, die Menschen mit schweren Schicksalen tagtäglich beschäftigt. Was ist Leben und was ist Tod? Dürfen wir für Andere, über Andere entscheiden? Und wenn ja, wer genau darf das? Nur die Erwachsenen, die Großen? Oder ist es doch ganz ratsam, auch in die Gedanken eines zwölfjährigen Jungen hineinzuschauen und zu sehen, was er denkt und fühlt?
All das wird verarbeitet aus der Sicht des Jungen Bela, der um seinen großen Bruder trauert, der im Wachkoma bei ihnen im Wohnzimmer liegt und an die Decke starrt. Gemeinsam mit Martha diskutiert er die Themen auf ihrer Reise nach Rom, enthusiastisch, emotional und mit kindlicher Naivität, dass es fast schon erschreckend ist, worüber sich ein Kind überhaupt Gedanken macht.
Auf ihrer Reise lernen die beiden unterschiedlichste Menschen kennen, Mitreisende, einen Anwalt, der die Situation ganz juristisch und bürokratisch ansieht, den alten Michel, der weiß, wie es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren und der endlich damit abschließen will und Francesco und seine Oma aus Italien, die ihr Problem vollkommen verstehen, ihr Vorhaben absolut logisch finden und sie darin unterstützen. Besonders beeindruckend ist die Fähigkeit Wegers, die Emotionen, die der kleine Bela verspürt, mit kindlichen Worten bildlich auszudrücken.
Zum Beispiel beschreibt dieser das Vermissen als Schmerz, den er am ganzen Körper verspüre, als Loch, das da jetzt hineingerissen wäre und das sich nicht so einfach schließen lasse. Somit wird deutlich, wie einfach es manchmal für ein Kind ist, auszudrücken, was es fühlt und wirft die Frage auf, warum die Erwachsenen sich so schwer damit tun, danach zu fragen. Erzählt wird die Geschichte im Präteritum aus Belas Sicht, mit seinen Gedanken und Gefühlen.
Die ersten sieben Kapitel, was etwa dem ersten Drittel des Buch entspricht, fassen die zweieinhalb Jahre direkt nach Julius‘ Unfall zusammen. Bela, der mehrere Wochen nicht in die Schule geht, der seinen Bruder vermisst, zum Kinderpsychologen geschickt wird, eine Klassenstufe zurückgestuft wird. Ab Kapitel 8 beginnt Belas und Marthas Reise nach Rom.
Das Ende ist zwar für die beiden Kinder im ersten Moment eher unbefriedigend, doch schließt es für den Leser den Kreis, der sich nun selbst noch Gedanken machen kann, der Zeit hat, darüber nachzudenken, was er gerade gelesen hat und der sich vielleicht sogar überlegen kann, was er nun an der Stelle von Belas Eltern tun würde. Wie würde er entscheiden?
Meiner Meinung nach ist das Buch nicht nur ein Kinderbuch, welches eine Thematik für Kinder aufarbeitet, sondern auch ein Buch für Erwachsenen, denen durch Kinderaugen vorgeführt wird, was für Auswirkungen solche Fragen haben kann und wie die Kleinen unserer Gesellschaft damit umgehen. Dabei sind die Themen so unbeschwert dargestellt, dass es trotz der Schwere der Problematik doch angenehm und leicht zu lesen ist.
Das Werk verdient eine großgeschriebene Leseempfehlung und sollte von jedem zur Hand genommen werden, der sich fragt, wie es ist, nicht ständig von Fachsimplerei, Bürokratie und Verantwortung umgeben zu sein.