Rezension von Ramon

Ein elfjähriger Junge wird brutal ermordet. Dessen Baseballtrainer Terry Maitland, im Ort bis dato hochgeachtet, wird vor hunderten Zeugen unter dringendem Mordverdacht festgenommen. Der Fall scheint eindeutig: Maitlands Fingerabdrücke und DNA-Spuren sind am Tatort und es gibt zahlreiche Aussagen von Zeugen, die sich sicher sind, ihn gesehen zu haben.

Die Ermittlungen werden von dem Polizisten Ralph Anderson geleitet, der bald vor unlösbare Rätsel gestellt wird. Denn Terry Maitland hat ein Alibi und war zur gleichen Zeit offensichtlich an einem anderen Ort. Wie kann das sein?
Bald bekommt Ralph Anderson Unterstützung durch die Ermittlerin Holly Gibney, einer Figur, die viele Leser schon in den Bill Hodges-Romanen liebgewonnen haben. Achtung: In diesem Zusammenhang werden auch wesentliche Inhalte aus den Romanen „Mr. Mercedes“, „Finderlohn“ und „Mind Control“ nacherzählt!

Gegen den Trend

Seit Jahren wird das Thriller-Genre immer blutrünstiger, auf den vorderen Plätzen der Bestsellerlisten tummeln sich Autoren wie Sebastian Fitzek, deren Gewaltdarstellungen mitunter zum reinen Selbstzweck verkommen. Bei Stephen King verläuft der Trend hingegen schon seit den späten 1990er Jahren eher gegenläufig – viele seiner neueren Romane setzen stärker auf atmosphärische Tiefe, ausgedehnte reflexive Passagen und ein langsames Erzähltempo als auf Brutalität und Action. Da ist auch der neue Bestseller „Der Outsider“ keine Ausnahme. Am Anfang steht zwar auch in diesem Roman ganz ähnlich wie in vielen der neuen Thriller das grausame Verbrechen eines Kinderschänders. Dieses Verbrechen dient aber zunächst vor allem dazu, die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der von einem Augenblick zum anderen zum Außenseiter wird. Gerade noch genoss er in seiner Kleinstadt höchstes Vertrauen, dann wird er aufgrund einer Tat, die er womöglich gar nicht begangen hat, zum Außenseiter, der von einem wütenden Lynchmob verfolgt wird.

Kein anderes Verbrechen hätte solche Wallungswerte, keine andere Tat würde auch einen eigentlich rational und analytisch vorgehenden Detective wie Ralph Anderson dazu bringen, nur noch seinen Affekten zu folgen und Widersprüche in den Ermittlungen genauso zu ignorieren wie ansonsten übliche Dienstvorschriften. Die Wahl einer Kinderschändung als Aufhänger des Romans erfolgt hier also nicht primär aus reißerischen Gründen, sie eignet sich vor allem gut für die Geschichte einer folgenschweren Vorverurteilung, die in der ersten Hälfte des Romans ausgebreitet wird. In der zweiten Hälfte des Romans drängt sich dann ein faszinierendes Motiv aus der Schauerliteratur in den Vordergrund, das im 19. Jahrhundert auch schon Autoren wie Edgar Allen Poe und E.T.A. Hoffmann immer wieder beschäftigt hat…

Fazit

Eine über weite Strecken ruhig erzählte, spannende Geschichte mit interessanten Figuren, die langsam und sorgfältig entwickelt werden. Es gibt eine metaphysische Komponente, aber im Vordergrund steht die Ermittlungsarbeit von Ralph Anderson und seinen Kollegen. Mehr für Anhänger des klassischen Kriminal- und Gruselromans als für die Fans beinharter Thriller und Horrorromane neuester Prägung.

Daten

Originaltitel: The Outsider
Heyne Verlag
752 Seiten
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt
Erschienen 2018