Rezension von Mona

An „Miracle Creek“ hatte ich hohe Erwartungen, sollte es doch einige Punkte vereinen, die ich an guten Geschichten sehr mag: Eine Gerichtsverhandlung, unzuverlässige Figuren, moralische Zwickmühlen und Charaktere in außergewöhnlichen Lebensumständen. Hinzu kommt, dass die Geschichte im Hanser Literaturverlag erschien, für den ich ein kleines Faible habe. Diese Zutaten zusammengenommen mussten doch einfach eine gute Geschichte ergeben, oder?

Worum geht es genau?

Die Therapiestätte in Miracle Creek fängt Feuer. Im Verdacht steht die Mutter von Henry, einem autistischen Jungen, der in diesem eher unkonventionellen Therapieverfahren von seinem Autismus „geheilt“ werden soll und dabei ums Leben kommt. Zudem stirbt die Mutter eines anderen Jungen, da in dieser Therapiestätte gleichzeitig mehrere Probanden und Begleitpersonen teilnehmen können. Die Beweise gegen Henrys Mutter sind erdrückend. Sie hat sowohl ein Motiv, als auch die perfekte Möglichkeit für das Verbrechen gehabt und sitzt teilnahmslos auf der Anklagebank, die Vorwürfe scheinen sie nicht zu berühren. Doch innerhalb des Gerichtverfahrens kommen noch ganz andere Facetten ans Licht.

Rezension

Wenn ich das Buch mit einem Wort beschreiben müsste, dann wäre es süffig. Es ließ sich nicht mehr aus der Hand legen, es hat mich richtig an sich gefesselt. Es war, als gucke man eine Serie und kann nicht mehr auf stopp drücken – im allerbesten Sinne! Und das liegt, denke ich, daran, dass die Autorin einen wahnsinnig einnehmenden Schreibstil hat, schon die Leseprobe hatte mich komplett gefangen genommen.

Zum anderen aber, und das ist ein ganz entscheidender Punkt, hat die Autorin das Talent, sehr tief in ihre Figuren zu blicken und sie uns in all ihrer Ambivalenz zu präsentieren. Sie reicht dem Leser Offensichtliches und lässt ihn langsam daran zweifeln und die eigenen Ansichten hinterfragen. Wenn hier etwas von Seite zu Seite zerbröckelt, dann ist es das Schwarz-Weiß-Denken. Und die Autorin ist sehr geschickt darin, den Leser zu konfrontieren.

Zudem bekommt man hier eine geballte Ladung an Themen: Elternschaft, insbesondere Mutterschaft ist ein wesentliches Thema. Emanzipation, Behinderungen, Rassismus, kulturelle Ungleichheiten, all das vereint sie in ihren Figuren. Und die spannendste Frage, die Angie Kim aufwirft, ist, wo Schuld denn eigentlich anfängt. Kann eine Person im großen Umfang alleine an etwas schuld sein oder gehören da nicht immer bestimmte externe Faktoren und Entwicklungen zu?

Dass die Autorin so sensibel für die Schuldfrage ist und in der Lage, eine Gerichtsverhandlung derart brillant zu konstruieren, kommt im Übrigen nicht von Ungefähr; sie ist nämlich selbst Anwältin und kann aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen. Außerdem hat auch sie einen koreanischen Hintergrund, was ebenfalls in dem Roman ein zentrales Element ist.

Fazit

Alles in Allem hat mich das Buch gepackt, gefesselt, begeistert, erstaunt, zum Grübeln gebracht, traurig gestimmt, wütend gemacht und absolut bereichert. Alle Zutaten wurden hier perfekt miteinander vermischt.