Rezension von Mona
„Der Rhythmus unserer Tage lullte mich ein, er beruhigte mich, tröstete mich. Gedankenlos gab ich mich ihm hin – sodass unser Leben – in einer abgeschiedenen Hütte auf einem Zipfel Erde, um den herum der Rest der Welt einfach ausgelöscht war, weggewischt wie Wörter von einer Tafel – zu einer fraglos hingenommenen Normalität wurde.“ (S. 180)
Inhalt
Die Sehnsucht nach bedingungsloser Freiheit und die daraus resultierende Abkopplung vom System sind Themen, die gerne literarisch aufgearbeitet werden und auf mich immer einen Reiz ausüben. Ist in diese Themen dann noch eine Vater-Kind Beziehung eingebettet, so kommt mir direkt eine Assoziation zu den ganz großen Lieblingswerken in meiner persönlichen Leser- und Filmliebhaberbiographie und der Wunsch, dieses Werk zu erleben bzw. erlesen, ist in der Regel geweckt. Gesellt sich dazu ein Titel, der zugleich alles und nichts sein kann, aber auf jeden Fall poetisch, dann wird aus diesem Wunsch ein Bedürfnis (bezogen auf den Originaltitel „Our endless numbered days“)
Berührungen mit der Autorin hatte ich zuvor keine, ich verschaffte mir einen groben Überblick über den Schreibstil und beschloss, mich mal wieder literarisch in die Wildnis abzusetzen und einem jungen Mädchen dabei zuzusehen, wie sie gezwungenermaßen ihre Lebensrealität abseits von unserer Gesellschaft verlagern muss. Denn das spannende hier ist, dass es sich wie ein Endzeitszenario anfühlt, es aber keines ist, sondern dieses Gefühl der Abkopplung und Vereinsamung abseits der Apokalypse stattfinden kann. Einfach, weil die Vaterfigur beschließt, es seiner jungen Tochter weiszumachen. Einfach, weil er behauptet, ihre Mutter und der Rest der menschlichen Spezies wären ausgelöscht worden und sie seien die einzigen Überlebenden. Und die Autorin zeichnet dieses Szenario absolut plausibel, denn kindliche Denkweisen sind ja in der Regel davon geprägt, dass sie das Verhalten ihrer Eltern nicht in Frage stellen und darauf vertrauen, dass diese genau wüssten, was sie tun. Das Elternhaus ist, und natürlich gilt das nicht für jede kindliche Psyche, in der Regel die einzige verlässliche Instanz in einer Welt, die manchmal schwer zu verstehen ist. Außerdem hat sich der Vater lange auf die Abspaltung vorbereitet und unsere Protagonistin ist in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass die Welt außerhalb der Familie jederzeit auseinanderbrechen kann. Daher war es auch vollkommen verständlich, dass bei der achtjährigen Peggy, von ihrem Vater nur „Punzel“ genannt, der Fall ist. Sie wird aus einer sowieso schon nicht stabilen Welt gerissen und ihr Vater inszeniert sich nicht nur als die Rolle, die er eigentlich innehat, sondern gleichzeitig als Held und Überlebenspartner. Dass sich Peggy innerhalb der Geschichte davon emanzipiert, scheint nur logisch und richtig.
Rezension
Dadurch, dass die Geschichte auf zwei Ebenen besteht, einmal derjenigen zur Zeit der eigentlichen Handlung und dann nach Peggys Rettung, ist uns Lesern auch bewusst, dass Peggy das was geschehen ist, als Entführung empfindet und ihren Vater nicht romantisiert. Denn eigentlich fühlt sich das, was hier passiert, nicht wie eine Entführung an, sondern wie eine Geschichte, in der ein Vater seine Tochter außerhalb der Normen erziehen will, nachdem ihm selbst Wunden zugefügt wurden. Die Autorin nutzt dabei einen Stil, der das körperliche Überleben in den Fokus stellt und die Natur sehr gezielt mit in die Erzählung einbettet, sodass auch sie hier zu einem Protagonisten wird. Und das macht sie hervorragend. Ich erwischte mich während der Lektüre dann bei dem Gedanken, dass es endlich mal eine Vater-Tochter Geschichte ist, die auch ohne körperlichen Missbrauch bestehen kann, auch wenn sie von vielen anderen Verletzungen geprägt ist.
Und dann wurde der Roman langsam in die Endphase eingeleitet. Als geübter Leser durchschaut man, denke ich, vieles, was im letzten Moment als spannungsgeladener Plot-Twist herhalten muss, direkt. Und ich verstehe, dass es hier um Peggy geht und darum, wie sie diese gewaltsame Trennung von der Gesellschaft und ihrem Leben und der letztendlichen Erkenntnis, dass ihr Vater sie entführt und beraubt hat, überstanden und letztendlich auch mental überlebt hat. Und die Autorin hat immer wieder andeutungsweise heraus blicken lassen, dass Dinge möglicherweise auch losgelöst von der Erzählung passieren können. Aber gerade weil der Erzählton so subtil und eher leise war, war ich ziemlich enttäuscht, dass gegen Ende einfach um des Schocks willen noch einmal nach Formel eines der tausendfach existierenden Psychothriller Handlungselemente eingebaut wurden, die den Leser auf den letzten Metern eine Gänsehaut bereiten sollen. Das hätte die Geschichte meiner Meinung nach überhaupt nicht gebraucht und lässt sie letztendlich nicht mehr so subtil erscheinen. Vielleicht hat die Autorin ihren Lesern zu wenig zugetraut, vielleicht wurden ihr diese Kniffe vom Verlag noch einmal nahegelegt, darüber kann man nur spekulieren. Für mich hat es der Geschichte leider letztendlich einen Abbruch getan, mich aber auch erkennen lassen, dass Frau Fuller das, was sie die meiste Zeit in diesem Buch über getan hat, großartig beherrscht, nur leider nicht auf die großartige Art und Weise zu Ende gebracht hat.