Rezension von Zoe

Inhalt

„Die lange Reise des Yong Sheng“: Das ist der Titel des Romans von Dai Sijie, der Anfang 2022 beim PIPER Verlag erschien. Eine passendere Wortwahl zur Beschreibung dieses Buches hätte man wohl nicht treffen können.

Der  Autor nimmt einen mit auf die Reise durch das Leben vom Sohn eines einfachen Zimmermanns, der zum ersten chinesischen Pastor Putians wird. Zunächst mag einem diese Vorstellung banal und eintönig erscheinen, in Wahrheit ist es das aber ganz und gar nicht. Ungeschmückt und unbearbeitet erzählt Dai Sijie eine Geschichte, die vom Leben seines eigenen Großvaters inspiriert ist. Keinen Schmerz, keine Ungerechtigkeit, die einen aufschreien lässt und auch keine Liebe lässt er dabei aus.

Yong Sheng erblickt 1911 in Jiangkou im Bezirk Putian als Sohn eines Zimmermanns das Licht der Welt. Ihm wird ein „außergewöhnliches Schicksal“ vorhergesagt, denn am Tag seiner Geburt werden dem Vater die Samen des besonderen Weihrauchbaums geschenkt. Seine frühe Kindheit verbringt der Junge bei Pastor Gu, einem Missionar, der mit seiner Familie in Putian lebt. Mary, die einzige Tochter des Pastors, nimmt sich des Kindes an und verzaubert ihn Zeit dessen mit ihrer Erscheinung.

Noch sehr jung und unerfahren wird Yong Sheng gegen seine Willen mit Heling, einer benachbarten Fischerstochter verheiratet. Gemeinsam bauen sich die beiden über die nächsten Jahre hinweg ein solides Leben auf. Durch das Schicksal bestimmt, von einer höheren Macht gewollt oder einfach durch den Zufall kreuzen sich die Wege Yong Shengs und die des Pastors ein weiteres Mal. Bereits in seiner Kindheit hatte der nun erwachsene Mann eine Verbindung zum Christlichen Glauben entwickelt. Diese entdeckt er nun auf Neue und lässt sich von Pastor Gu taufen.

Zeitgleich nimmt er auch eine Stelle im „Hof“ des Pastors an und lebt mit seiner Frau bei dem Geistlichen. Mit der Zeit bestärkt sich das Verhältnis zwischen dem Pastor und Yong Sheng. Der junge Mann bewundert seine Arbeit und ist fasziniert von den lebensnahen Predigten. Das entgeht auch dem Pastor nicht und da er das Talent in dem jungen Mann sieht, verhilft er ihm zu einem Theologiestudium in einer entfernten Stadt.

Yong Sheng tritt die lange Reise an und lässt seine mittlerweile schwangere Frau zeitweise alleine. Ab diesem Zeitpunkt folgt nichts in seinem Leben mehr einer geraden Linie. Ein Stein nach dem anderen versperrt ihm den Weg, der so einfach hätte sein können. Er wird bitterlich verraten und verliert fast den Willen am Leben festzuhalten. Aber er kämpft sich durch, genau wie die Truppen der Roten Armee sich zur selben Zeit den Weg durch das Land kämpfen.

Nach Monaten der Abwesenheit kehrt er in seine Heimat zurück, um ein letztes Mal Abschied zu nehmen, denn nichts ist mehr so, wie es einmal war. Doch alles kommt ganz anders als erwartet. Für eine Zeit scheint es, als würde das Schicksal es wieder gut mit ihm meinen. Yong Sheng findet zum Glauben zurück, erlebt die Liebe neu und findet seine Berufung wieder. Er ist hoch angesehen bei seinen Mitmenschen und führt ein friedvolles und erfülltes Leben.

Dann aber bricht die Kulturrevolution über das Land herein. Der erste chinesische Pastor Putians wird zum zweiten und nicht letzten Mal verraten. Dunkle Zeiten stehen ihm bevor, doch er beklagt sich nie und gibt sich seinem Leben hin.

Sein Leben ist wie vorherbestimmt ein ganz außergewöhnliches und auch sein Tod ist in keinster Weise so, wie man ihn vielleicht erwartet hätte.

Rezension

Alles in allem muss ich sagen, dass das Buch für mich ein ziemlich „harter Brocken“ war. Auch ich habe es als eine „lange Reise“ erlebt.

Dai Sijie lässt nicht viele Dialoge und auch kaum Gefühle erscheinen. Vielmehr ist es ein beschreibendes Erzählen, bei dem er sich an Ausschweifungen über abstrakte Dinge wie Architektur festsetzt. Mir persönlich fällt es so sehr schwer mich auf die Geschichte einzulassen, da ich keinen Zugang zu den Charakteren gewinnen kann. Ich kenne ihre inneren Gedanken, Gefühle, Ängste, Sorgen oder Freuden nicht und das ist es, was mich normalerweise an Büchern fesselt. Dadurch kommt es, dass mir die Figuren auch ein wenig abgestumpft erscheinen. Ich muss aber auch zugeben, dass mir das Thema nicht so gelegen hat, da es viel von Religion und der Auslegung von Bibelstellen handelt. Zwar interessiere ich mich für Glauben im Allgemeinem, aber nicht in einer Weise, die schon festgeschrieben ist und keiner Interpretation Raum lässt. Zudem ist die Stimmung vor allem in der zweiten Hälfte der Handlung vorrangig trüb und unbehaglich, was es mir schwer gemacht hat mit Freude weiterzulesen.

Was mich aber beeindruckt hat ist die Art und Weise, wie Dai Sijie mit Worten umgeht. Es wirkt fast wie Poesie und er hat ein Talent Situationen in ganz neuen und spannenden Weisen zu beschreiben. Vor allem die Formulierung „eine flüchtige Vision dessen, was wir Ewigkeit nennen“ ist mir im Gedächtnis geblieben.

Fazit

Abschließend kann ich nur festhalten, dass es definitiv keine leichte Leselektüre ist. Wenn man sich aber für außergewöhnliche und tiefer greifende Themen interessiert und auch keine Angst vor langen Passagen ohne Gefühle hat, dann ist dieses Buch auf jeden Fall einen Versuch Wert. Denn auch wenn es für mich schwer zu durchdringen war, habe ich dennoch viel mitgenommen. Vor allem Einblicke in die Geschichte Chinas und eine Aussicht auf die Menge an Schmerz, Hoffnung und Liebe, die ein Mensch aushalten kann.