Rezension von Ramon

Inhalt

Die acht Geschichten dieses Erzählbandes von Murakami verbindet, dass darin die Grenzen zwischen Autobiografie und Fiktion verschwimmen. Wer sich davon aber einen „Blick durchs Schlüsselloch“ erwartet, dürfte enttäuscht sein. Murakami ist ein öffentlichkeitsscheuer Autor, der sein Privates gut behütet. Er gibt selten Interviews und hält keine Lesungen.

Es sind eher kleine Szenen, die oft einen Ursprung im Erleben des Autors haben und hier zu phantastischen Geschichten mit einem mitunter hohen Abstraktionsgrad verfremdet werden.

Da gibt es zum Beispiel eine Reihe von Gedichten über die japanische Baseballmannschaft „Yakult Swallows“. Diesen Gedichten ist ein Vorwort vorangestellt, in dem Anekdoten erzählt werden, von denen man nicht weiß, ob sie wahr, halbwahr oder Fiktion sind. Murakami nennt hier seinen eigenen Namen und erwähnt, wie schlecht das Verhältnis zu seinem Vater war. Doch zu den einzelnen Gedichten erzählt er auch Geschichten, die poetische Erfindungen sein könnten, zum Beispiel von einer Sammlung mit Baseball-Telefonkarten in einer Pralinenschachtel seiner Mutter, deren Herkunft ihm ein Rätsel ist.

Auch bei „Charlie Parker plays Bossa Nova“ weiß man nicht, wo das Autobiografische endet und das Phantasieren beginnt. Hat Murakami als Student tatsächlich die Kritik zu einer fiktiven Platte von Charlie Parker verfasst, die in dieser Geschichte zitiert wird? Wahrscheinlich ist dieser Teil der Geschichte wahr.

Doch Jahre später entdeckt der Murakami-Erzähler dann dieses erfundene Album in einem Plattenladen in New York. Da die Platte zu teuer ist, kauft er sie nicht. Als er sich am nächsten Tag umentscheidet, ist sie verschwunden. Der Erzähler vermutet, da habe sich jemand nur einen Scherz erlaubt und ein selbstgemachtes Cover, basierend auf seinem Text, über das Wirkliche geklebt.

Danach erscheint ihm Parker auch noch im Traum.

„Sie glauben mir wohl nicht?“, endet die Erzählung, „das sollten Sie aber, denn es ist wirklich so passiert.“

Ein häufiges Muster in den Geschichten dieses Bandes: Etwas passiert im Leben des Erzählers. Er kann sich keinen Reim darauf machen. Er grübelt darüber, ob es überhaupt wahr ist, was jemand ihm erzählt hat, was er selbst erlebt hat und welche Schlüsse er daraus gezogen hat. Doch dann, viel später, gibt es ein zweites Erlebnis, das alles zu bestätigen scheint.

In „Der Affe“ etwa klaut ein Affe die Namen von Frauen, in die er verliebt ist. Der Erzähler will das eigentlich gar nicht aufschreiben, weil es ihm so sinnlos erscheint. Wo ist denn da die Pointe? Doch dann trifft er Jahre später eine Frau, die sich nicht mehr an ihren eigenen Namen erinnern kann. Ist der Affe wieder aktiv geworden?

Oft ist es, als würde der Autor aus Jugenderinnerungen sowie Szenen und Überlegungen aus seinem eigenen Alltag Geschichten entwickeln. Zum Beispiel wird der Erzähler in einer Bar von einer Unbekannten mit Vorwürfen überhäuft. Eine alltägliche Szene, die so tatsächlich passiert sein könnte. Doch im weiteren Verkauf beginnt der Erzähler an seiner Identität zu zweifeln – der kleine Zwischenfall hat ihn vollkommen aus der Bahn geworfen.

Indem Murakami eigene Erlebnisse und Überlegungen in ihrer Bedeutung überhöht, lässt er das Wundersame und Magische in sein Leben treten.

Fazit

Auch wenn die Geschichten unterschiedlich gut ausgearbeitet sind und mitunter auch etwas anekdotisch bleiben, ist dieses Konzept durchaus faszinierend. Es mag unterhaltsamere und rundere Kurzgeschichtensammlungen von Murakami geben, etwa „Der Elefant verschwindet“ oder „Nach dem Beben“. Diese sind Einsteigern für einen gemütlichen Lesenachmittag vielleicht stärker zu empfehlen. Unter künstlerischen Punkten ist dieses Buch aber in jedem Fall interessant und gelungen.