Rezension von Ramon

Dieser 55. Band aus der Reihe „Naturkunden“ stammt aus der Feder des Lyrikers Joachim Sartorius. In den verschiedenen Kapiteln des Buches erkundet er die Welt der Eidechsen auf naturwissenschaftliche wie auch kunst- und kulturgeschichtliche Weise. Darüber hinaus enthält das Buch wie alle Bände aus der Reihe zahlreiche Farbabbildungen aus Klassikern der Naturkunde wie etwa Brehms „Tierleben“ oder Ernst Haeckels „Kunstformen der Natur“. Die Auflösung der Abbildungen ist dabei ganz hervorragend. Darüber hinaus hat Sartorius für den Band einige Echsengedichte von Autoren wie Gertrud Kolmar oder Jan Wagner ausgewählt. Wagners Gedicht „grottenolm“ hat mir besonders gut gefallen.

Sartorius ist in Tunesien aufgewachsen, wo es von Eidechsen wimmelt. Stundenlang beobachtet er als Kind die wachsamen Tiere und lernt mit der Zeit, die verschiedenen Arten auseinander zu halten. Doch obwohl sie zu seinem Alltag gehören, bleiben sie ihm immer ein Rätsel. Meistens verkriechen sich die Eidechsen blitzschnell, wenn sie ihn herannahen hören, doch einmal gelingt es ihm, eine sich sonnende Eidechse aus nächster Nähe zu betrachten. Dabei vergisst er alles um sich herum: „Die Eidechse ist unvermittelte Gegenwart, sie wird für mich in ihrem gebannten, angespannten Hiersein das heftig klopfende Herz der Erde.“

Die Eidechse wird für ihn zu einer „Chiffre für den Süden“. Eidechsen sind Kaltblüter. Sie müssen die Hitze der Sonne aufnehmen, um ihren Körper zu wärmen. Viele Menschen mögen keine Echsen. Im Mittelalter, berichtet das Buch, zählten sie zu den „verachteten Tieren“, die angeblich nicht in die Arche Noah aufgenommen wurden. Für Sartorius dagegen verkörpern sie „die ungeheure Fantasie, die die ganze Schöpfung prägt“. Bei ihrer Betrachtung werde man „vom Hauch einer uralten Welt gestreift“. Reptilien gab es schließlich bereits vor 300 Millionen Jahren. Sehr lange Zeit waren sie die wichtigsten Geschöpfe im Tierreich. Man sieht in den heutigen Exemplaren immer noch Spuren der riesigen Saurier, die einst die Erde bevölkerten.

So ist das erste Kapitel von „Eidechsen“ auch ein Ausflug in die Anfänge der Paläontologie. Als dieser Forschungszweig um 1800 entstand, vermischten sich darin die Naturwissenschaften mit Mythen und Legenden. Während wir heute Drachen als Fantasy- und Fabelwesen betrachten und streng von den Dinosauriern trennen, trug die frühe Paläontologie dazu bei, den mittelalterlichen Glauben an Drachen in die Zeit nach der Aufklärung hinüberzuretten.

Es folgen viele andere spannende Aspekte, von denen ich nur ein paar herausgreifen möchte.

– Die Kulturgeschichte des mit den Eidechsen verwandten Salamanders ist eine Geschichte des Irrglaubens, etwa bezüglich dessen Feuerfestigkeit. „Er ist so kalt, dass er wie Eis durch bloße Berührung Feuer auslöscht“, schrieb beispielsweise Plinius der Ältere. Der Philosoph Quintus Sextus soll wiederum überzeugt gewesen sein, dass der Verzehr eines ausgenommenen Salamanders erregend wirke. Brehms „Tierleben“ berichtet von Goldmachern, die den Salamander verkohlen ließen, um ihn anschließend mit Quecksilber zu beträufeln – in der Hoffnung, so ein Edelmetall zu generieren.

– Sartorius Kinder legen sich eine Eidechse als „Spielgefährten“ zu. Danach gewinnt man den Eindruck, dass Eidechsen als Haustiere denkbar ungeeignet sind.

– Die physiologischen Besonderheiten der Eidechse, darunter ihre Fähigkeit, den Schwanz abzuwerfen, wenn Gefahr droht.

Abgerundet wird der Band mit Einzelportraits zum Grottenolm, der Zauneidechse, dem Federbuschbasilisk, dem Mauergecko und anderen Sorten. Sartorius schreibt in einer poetischen Sprache und vermischt subjektive Empfindungen und Beobachtungen mit dem Faktischen. So ist „Eidechsen“ Sachbuch und Dichtung zugleich.