Rezension von Mona

Was, wenn ein Mensch sich fremd innerhalb der modernen Gesellschaft fühlt? Dann kann er versuchen, all seine Kräfte zu mobilisieren, um sich an die Anforderungen der Umgebung anzupassen. Oder er verweilt in ihr und erkrankt. Oder er verschwindet ganz einfach und wird nur seinen persönlichen Anforderungen gerecht. Und denen der Natur, inmitten welcher er lebt.

Leda entschied sich für den Ausstieg, welchem sie ironischerweise immer wieder entfliehen muss. Und sie wird Mutter eines Jungen, den sie in die Marschwelt am Rande der menschlichen zeitgenössischen Gesellschaft setzt. Und wenn sie eines mit Bravour meistert, dann ihren Jungen mit Verlustängsten zu prägen und ihm sämtliche Sicherheiten und Schutzmechanismen eines Zuhauses zu verwehren. Spannend wechselt die Autorin hier von einer scheinbaren Haupterzählperspektive in eine andere und lässt die vermeintliche Protagonistin, die mit Sicherheit ihr eigenes Päckchen zu tragen hat, aber auch alles dafür tut, diese Last an die nächste Generation weiterzureichen, irgendwann verstummen.

Und Zeno betritt die Bühne. Ein Junge, der sich virtuell sehr gut in eine Welt adaptieren kann, in der er in der Realität nicht lebt. Ein reifer Junge, der es versteht, sich seinen Mitmenschen über eine App als interessant, lebenserfahren und erwachsen zu präsentieren. Ein kleiner Philosoph, der verzweifelt nach Zugehörigkeit und Geborgenheit lechzt. Und diese auch gewährt bekommt, als sich Menschen seiner annehmen und mit ihm inmitten der Marschen leben, ihm ein Zuhause bieten, denn Familie muss nicht aus gleichen Blutmolekülen resultieren.

All die Themen, die die Autorin hier durch die Augen und Lebensgeschichten ihrer Figuren behandelt, sind sehr subtil benannt, ohne Drastik und Hektik. Es geht nicht um den großen Knall, sondern darum, wie Menschen sich auf eine Situation einstellen, in der ewig währendes ignorantes Verhalten gegenüber dem irdischen Zuhause den Tribut zollt. Die Gesellschaft ist hier sehr abgesondert voneinander, Entspannung und Nähe passieren in der Regel virtuell, kalt. Ein schönes Bild zeichnet die Autorin, in dem sie sich Zeno bei frostigen Temperaturen vor die Wohnungen Fremder schleichen und ausziehen lässt, um etwas zu spüren, während er nach Teilhabe giert und seine Mitmenschen observiert. Menschen, die ihrerseits vom Fenster gut sichtbar auf ihren Sesseln sitzen und auf Bildschirme starren und gar nicht die Wärme versprühen, die Zeno in seinem Leben braucht.

Vieles hier in dem Roman schmerzt, macht betroffen oder sogar wütend. Vor allem wahrscheinlich die Verantwortungslosigkeit; diejenige unserer Gesellschaft und die Zenos Mutter, welche ihren Sohn, immer noch ein Kind, wenn auch durch seine Lebensumstände sehr gereift, komplett von sich weist und letztendlich verlässt, als sich ihre eine Gelegenheit von Wärme bietet.

Abgesehen davon gab es aber ein paar erzählerische und inhaltliche Stricke, über die ich gestolpert bin. Die Erzählweise ist sehr bildreich, massiv bildreich. Hatte ich mich anfangs vollkommen in der Erzählung verloren, weil die Szenarien so eindringlich beschrieben waren und teilweise sehr durchdachte, teilweise eher abstrakte Vergleiche gezogen wurden, so nutzte sich dieses Stilmittel irgendwann ab, denn es wurde oft nur um der Bilder willen, nicht um des Erzählens willen genutzt. Und die Autorin geizt wahrlich nicht damit, ich mancher Hinsicht überkam mich sogar das Gefühl, dass mit Bildern eine Leere gefüllt wurde, es manchmal einfach nichts zu erzählen gab, dieses Nichts aber in Metaphern gehüllt wurde, um diese Gegebenheit zu überdecken.

Ich würde diesen Roman außerdem als durch und durch modern bezeichnen. Das muss er auch sein, wenn er zeitgenössische Probleme portraitiert. Doch nicht nur die großen Herausforderungen unserer Zeit werden thematisiert, auch, je nach Perspektive, kleinere oder größere Streitpunkte unserer westlichen Gesellschaft haben ihren Platz und die Figuren wirkten auf mich wie Klischees von Menschen eines bestimmten politischen Spektrums. Nicht ganz und gar, aber zumindest anteilig, worin die Autorin sicherlich ihre eigenen Ansichten spiegelt. Das ist überhaupt nicht verwerflich, wirkte aber auf mich ein wenig einseitig.

Wenn ich das Erzählte aber auf die Essenz herunterbreche, so bleibt das Gefühl, dass ich etwas Wertvolles gelesen habe, das vielleicht nur einfach nicht an mich adressiert wurde.