Rezension von Ramon

Inhalt

Stephen Kings beste Romane ziehen den Leser schon nach wenigen Seiten in den Bann, weil man am Leben der Figuren teilhaben und über ihr weiteres Schicksal erfahren möchte. In „Billy Summers“ gelingt dies schon mit dem dritten Satz. Über die titelgebende Hauptfigur heißt es hier: „Er hat ein Comictaschenbuch […] vor sich, ist in Gedanken aber bei Emilé Zola und dessen drittem Roman, mit dem er schließlich den Durchbruch als Autor erzielt hat: Thérèse Raquin.“

Was hat es mit dieser ungewöhnlichen Lektürekombination auf sich?

Gebannt liest man weiter und will mehr über diesen Menschen erfahren – einen Auftragskiller, der auf seine Kontaktmänner wartet. Es stellt sich heraus, dass Billy Summers den Einfältigen spielt, um von seinen Auftraggebern unterschätzt zu werden. Deswegen gibt er sich als Comicfan aus, obwohl er eigentlich eine Vorliebe für anspruchsvolle Literatur hat.

Billy ist ein Veteran des Irak-Kriegs und hat nach seiner Rückkehr die in Falludscha erlernten Fähigkeiten als Scharfschütze in bisher achtzehn Auftragsmorden weiter genutzt und perfektioniert. Wobei es zu seinem Arbeitsprinzip gehört, nur „schlechte Menschen“ umzubringen.

Einen letzten Mord will er noch begehen und sich dann zur Ruhe setzen. Doch dieser letzte Coup hat es in sich und ist mit nichts zu vergleichen, was er bisher gemacht hat. Schon die hohe Summe von zwei Millionen Dollar, die ihm in Aussicht gestellt wird, lässt erahnen, dass es sich um eine richtig brenzlige Sache handelt.

Unter einer falschen Identität bezieht er in einer Kleinstadt eine Wohnung und geht jeden Tag in einem Bürohaus zur Arbeit. Von seinen Bossen hat er ausgerechnet die Legende bekommen, dort als Schriftsteller an einem Roman zu arbeiten. Um die Zeit zu überbrücken, beginnt Billy dann aber tatsächlich einen Roman zu schreiben: Die Geschichte seiner traumatischen Jugend und seiner Kriegserfahrungen. Auf dieser zweiten Ebene erfahren wir, wie Summers so wurde wie er ist.

Stephen King, der vielleicht erfolgreichste Thriller-Autor der Gegenwart, ist ein Meister der Alltagsszenen. Den Alltag spannend zu beschreiben ist eine der Königsdisziplinen, die er so gut wie kein anderer beherrscht.

Das ist keinesfalls ein Widerspruch zu dem Genre, das er schreibt. Denn mit der akribischen Schilderung des Gewöhnlichen wird auch immer ein bereits drohendes Verhängnis hinausgezögert. Keine Figur eignet sich so gut wie ein Auftragskiller, um dieses Stilmittel bis ans Äußerste auszureizen.

Dreihundert von rund siebenhundert Seiten dauert es, bis Billy endlich seinen Schuss abfeuert, wegen dem er monatelang seine Scheinidentität in der fremden Stadt geführt hat. Auf diese Weise sind all die beschaulichen Szenen, in denen sich Billy in seiner neuen Nachbarschaft einlebt und Freundschaften schließt, gleichzeitig von einem Gefühl des Unheils überlagert. Man weiß, dass Billy dieses idyllische Leben nicht auf Dauer führen und dass er seine Nachbarn schwer enttäuschen wird. Denn die werden herausbekommen, dass er in Wirklichkeit ein Killer ist, der ihnen die ganze Zeit etwas vorgespielt hat.

Unverkennbar ist Kings Kritik am Irak-Einsatz der USA, der gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Katastrophe in Afghanistan sehr aktuell wirkt. 

Die Figur Summers bleibt ambivalent. Sie ist schwer traumatisiert durch einen gewalttätigen Vater und einen grausamen Krieg. Auch wenn man mit der Figur sympathisieren kann, redet der Autor hier nicht der Selbstjustiz das Wort. Die Erzählhaltung bleibt distanziert und ohne Wertung.

Fazit

Die Geschichte hat viele Plot-Twists, ist gut durchkonstruiert und bleibt bis zum Schluss spannend. Ein langsam erzählter Thriller, der ohne metaphysische Elemente auskommt. Daher auch für Krimi-Fans eine Empfehlung.