Rezension von Ramon

Inhalt

Dem pensionierten Polizisten Bill Hodges bekommt der Ruhestand nicht gut. Seine Nachmittage verbringt er einsam vor dem Fernseher, wo er über Selbstmord nachdenkt. Da erreicht ihn ein Brief des „Mercedes-Killers“, der seinem Leben eine entscheidende Wende gibt.

Der Killer war Jahre zuvor mit seinem Auto in eine Schlange von wartenden Arbeitslosen gerast und hatte damit ein Blutbad angerichtet. Danach konnte er entkommen und alle Ermittlungen von Hodges und seinen Kollegen verliefen im Sande.

In dem Brief verhöhnt der Unbekannte den Ermittler und schildert ausführlich sein Vergnügen während der Tat. Darüber hinaus lässt er Hodges wissen, dass er um dessen Selbstmordgedanken weiß. Doch er bietet ihm auch eine Kontaktmöglichkeit an, über die sozialen Netzwerke möchte er anonym mit ihm kommunizieren …

Bald wechselt die Erzählperspektive und wir lernen den Täter kennen. Es handelt sich um einen etwa dreißigjährigen Mann namens Brady Heartsfield, der in einem Elektronik-Supermarkt arbeitet. Wir erfahren, dass Brady bereits seinen kleinen Bruder umbrachte, angestachelt von der alkoholkranken Mutter, bei der er immer noch wohnt. Brady schwankt zwischen Minderwertigkeitskomplexen und Größenwahn. Er träumte lange davon, mit einer außergewöhnlichen Erfindung reich zu werden. Da das nicht geklappt hat, konstruiert er lieber eine Sprengstoffjacke, mit der er sich und zahlreiche weitere Menschen bei einem weiteren Anschlag in den Tod reissen kann …

Im weiteren Verlauf entwickelt sich ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Hodges und dem Killer. Hodges provoziert nun seinerseits den Killer, indem er ihm unterstellt, nur ein Trittbrettfahrer zu sein. Bei seinen Ermittlungen wird Hodges unterstützt von Jerome, einem siebzehnjährigen Schwarzen aus der Nachbarschaft. Der hat sich ursprünglich nur gegen ein Taschengeld um seinen Rasen gekümmert. Doch wegen seines Geschicks im Umgang mit Computern wird er für den wenig technikaffinen Hodges zu einer unentbehrlichen Hilfe. Etwas später im Roman gesellt sich zu diesem Gespann noch eine der interessantesten Frauenfiguren, die Stephen King bisher geschaffen hat: Die leicht autistische und an psychischen Problemen leidende Holly Gibney, deren Verstand aber messerscharf arbeitet.

King erzählt mit „Mr. Mercedes“ einen strukturell mitunter fast altmodisch anmutenden Krimi – die detaillierte Ermittlungsarbeit steht im Vordergrund. Nur dezent schleichen sich King-typische Thrillerelemente und drastischere Szenen ein, vor allem, wenn wir uns in der Perspektive des psychopathischen Brady Heartsfield befinden.

Resümee

Als Krimi ist „Mr. Mercedes“ spannend und souverän erzählt, wenn auch keineswegs spektakulär. Was diesen Roman heraushebt ist der Realismus der Alltagsschilderungen, eine absolute Stärke des Autors.

Dieser Realismus entsteht zum einen durch die sehr lebendigen Figuren, zu denen man schnell eine Bindung aufbaut. Zum anderen durch einen ständigen, glaubhaften Gegenwartsbezug. Das beginnt gleich im ersten Kapitel mit der Schlange der Arbeitslosen, die sich die halbe Nacht lang die Beine in den Bauch stehen. Der Roman spielt 2009, kurz nach der Weltwirtschaftskrise. Die Auswirkungen dieser Rezession auf eine Großstadt im mittleren Westen der USA werden den ganzen Roman hindurch sehr plastisch geschildert. Aber auch wenn King über Jerome und seine Schwester schreibt, hat man immer das Gefühl: Der weiß genau, wie Teenager im Jahr 2009 reden.

Diese Dinge sind es in meinen Augen, die den Roman deutlich über das Durchschnittsniveau von Genreliteratur heben. Eine spannende Lektüre.