Rezension von Ramon

Inhalt

Großbritannien im Jahr 1966: Popmusik wird zu einem riesigen Geschäft, in das diverse Zweige der Industrie einsteigen. In dieser Zeit spricht John Nightly, ein junger, introvertierter Songschreiber, bei einer Plattenfirma vor. Dem Manager gefällt die Musik des jungen Mannes, mehr aber noch sein marktfähiges Aussehen. Er versucht verzweifelt, Nightly ein Image zu verpassen, doch alle Bemühungen prallen an dem Musiker ab. Dennoch wird Nightly zu einem international gefeierten Shooting Star, dessen Musik gänzlich neue Akzente setzt. Was ihn besonders mache, so konstatiert später seine Modelfreundin Iona, sei ja gerade, dass er kein Image brauche. Doch mit dem Ruhm kommt Nightly nicht besonders gut zurecht. Zwar führt ihn Iona in die angesagtesten gesellschaftlichen Kreise ein, doch er bleibt den Menschen seltsam fremd, kann keine rechte Beziehung zu ihnen aufbauen. „Im Verlauf seiner Karriere blieb der Junge eigentlich immer ein majestätischer Leerraum, ein hohles Gefäß, in dem die gigantische Nichtigkeit zu Hause war – von seinem fraglosen musikalischen Talent einmal abgesehen.“ Iona stellt fest: „Du bist zu clever, um jemals glücklich zu sein.“

Schon nach wenigen Jahren findet Nightlys Karriere ein Ende. Er zieht sich vollkommen aus dem Leben zurück und widmet sich der Pflanzenzucht. Bis, Jahrzehnte später, ein junger Musikfan auf scheinbar verschollene Tonbänder John Nightlys stößt und ihn damit aus seiner Ruhe reißt …

Eine verschlungene Biografie

Die fast tausendseitige Biografie des fiktiven Musikers John Nightly ist verschlungen. Sie wird auf verschiedenen Zeitbenen erzählt und immer wieder von eingeschobenen Interviews, Artikeln, Illustrationen, Lexikaeinträgen, Zitaten und erläuternden Fußnoten unterbrochen. Diese sind teils erfunden, oft auch aus anderen Werken kompiliert. Darüber hinaus gibt es einen auktorialen Erzähler, der immer wieder ausschweifendes Hintergrundwissen zu Popkultur und Gesellschaft der 1960er Jahre ausbreitet. So wird ein breites Panorama aufgemacht. Es ist in jeder Zeile lesbar, wie viel der Autor, selbst Musiker, Galerist und „Zeitzeuge“, über sein Thema weiß und mit wie viel geradezu wissenschaftlicher Akribie er über popkulturelle Phänomene zu referieren versteht.

Oft zu abstrakt und theoretisch

Vielleicht ist genau das mein Problem mit dem Roman. Oft hatte ich das Gefühl, das Personal des Romans exisitiere nur, um es durch die Kulissen der Zeit- und Musikgeschichte schieben zu können. Alle Figuren sind „Typen“, es ist sofort erkennbar, dass sie jeweils einen bestimmten Aspekt in Taylors Abhandlung über „swinging London“ und seine Betrachtungen über Popmusik deutlich machen sollen. Da gibt es etwa den „Hippie-Kapitalisten“ oder den Musikmanager, der die Durchökonomisierung der Popmusik zeigen soll usw. Auch die Hauptfigur John Nightly ist zusammengesetzt aus rund dreißig tatsächlich existierenden Musikern der beschriebenen Zeit. Wenn man sich mit der Geschichte der britischen Popmusik gut auskennt, mag dies sicher ein interessantes Rätselspiel sein, auch ich habe einige Anspielungen erkannt. Doch welchen Unterhaltungs- oder Erkenntniswert bietet das darüber hinaus, wenn der Leser der Figur emotional im Grunde nicht nahe kommt? Beim Lesen ist mir ein Zitat von F. Scott Fitzgerald in den Sinn gekommen. „Nimm dir nur eine einzelne Person vor – und ehe du dich`s versiehst, hast du einen Typus erschaffen; beginne mit einem Typus, und du wirst sehen, was du erschaffen hast, ist – nichts.“ Ich möchte mich nicht dazu versteigen, die Figur John Nightly als „nichts“ zu bezeichnen. Dennoch geht Taylors Idee, aus vielen Musikerbiografien eine einzige „typische“ zu destillieren, in meinen Augen nicht richtig auf. Das Ergebnis bleibt abstrakt und theoretisch.

Fazit

Ein Roman, in dem jede Menge Arbeit und Fleiß steckt. Der Ansatz ist originell. Die Mythen des Pop werden parodiert und unterlaufen. Für den eingeweihten Musikfan gibt es einen schier unüberschaubaren Anspielungsreichtum. Dadurch hat „The Story of John Nightly“ auch viele Fans gefunden.

Leider ist es auch ein Roman, der zu viel erklärt und zu wenig erzählt. So habe ich mich über weite Strecken gelangweilt. Im Anhang gibt es ein 17seitiges Quellenverzeichnis. Das mag Professoren bei einer eingereichten Dissertation beeindrucken, aber nicht mich als Leser, der vor allem eine lebendige und nahegehende Geschichte erwartet.

Taylor ist in meinen Augen kein begnadeter Romancier, aber ein guter essayistischer Erzähler. Er weiß sehr genau, worüber er schreibt. Doch auch hier wäre weniger mehr gewesen. Denn je mehr Taylor in tausend Fußnoten und Einschüben ausufert, desto seltener kommt sein Text zu einer Essenz.