Rezension von Mona

Inhalt

Kelleys 1965 erschiener Roman „A drop of patience” (hier zu Lande seit 2021 bekannt unter „Ein Tropfen Geduld“; übersetzt von Kathrin Razum) wird auf der Verlagsseite als „ein scharfsinniges Zeugnis des bis heute virulenten Kampfes der afro-amerikanischen Bevölkerung um gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe.“ und „Der vergessene Gigant der amerikanischen Literatur.“ gepriesen. Würde ich all diese Lobesreden sofort und unweigerlich für Kelleys Erstling „A different drummer“ („Ein anderer Takt“) unterschreiben, so bleibt mir in diesem Fall jegliche Euphorie persönlich verborgen.

„Ein Tropfen Geduld“ erzählt die Geschichte eines Mannes aus einer ungemein spannenden Ausgangslage, denn Ludlow Washington ist blind. Und schwarz. Ihm sind also Nuancen von Hautfarben und das damit einhergehende Konzept von Rassismus völlig fern, er kann sich diesem Gedanken daher auch nur abstrakt nähern. Er wächst auf in einer Zeit, in der eine öffentliche Debatte über Rassismus nicht einmal denkbar ist – New York der 1920er Jahre. Er begegnet seiner Außenwelt nicht visuell, sondern anhand von Musik, denn Ludlow soll sich als passionierter und überaus talentierter Jazzmusiker herausstellen.

Der Roman steigt sehr stark in das Ausgangsszenario ein, nämlich damit, dass Ludlow, der als Belastung für den sowieso schon erschwerten Familienalltag gilt, von seinem Vater in ein Heim für sehbehinderte schwarze Jungen abgegeben wird und seinen Lebensweg ohne familiären Halt bestreiten muss. Ein zentrales Thema und Charaktermerkmal Ludlows ist die Entwurzelung, die er nicht nur durch Diskriminierungserfahrungen machen muss, sondern ebenso aufgrund der Tatsache, dass er ohne das Konzept Familie oder anderweitige Bindungen leben muss, sich immer am Rande der Gesellschaft bewegt und nur mit seiner Musik Andockstellen bei anderen Menschen finden kann.

In eben jenem Heim wird er das erste Mal mit Rassismus- und Unterdrückungserfahrungen konfrontiert und muss lernen, dass Menschen von einer ganz wichtigen Komponente definiert zu werden scheinen; ihrer Hautfarbe, die maßgeblich darüber entscheidet, wie scheinbar wertvoll und angesehen sie sind, welchen Rang sie innerhalb der Gesellschaft einnehmen dürfen. Ein Szenario, das sich durch Ludlows Leben zieht, denn immer wieder wird er erniedrigt und ihm sein „rechtmäßiger“ Platz zugewiesen. Ein unglaublich raffiniertes und bedeutsames Stilmittel, das der Autor jedoch leider nicht gut genug ausspielt innerhalb der Geschichte.

Wenn ich das Buch betrachte, dann gelingt es mir einfach nicht, es als das große Werk im Kampf gegen Rassismus zu betrachten, als das es gehandelt wird. Ich sehe es als Lebensgeschichte einer tragischen Figur, deren tragisches Leben sie zu einem Mann werden lässt, der Frauen durchweg sexualisiert und mit wenig Respekt behandelt, ihnen sogar einen Teil seiner geraubten Macht entgegensetzt. Und ich bin mir einfach nicht sicher, ob es die Intention des Autors war, dieses Machtgefälle, diese Kette der Erniedrigung auch auf das weibliche Geschlecht zu übertragen, denn es fühlt sich nie so an, als sehe Kelley dies kritisch, sondern nehme dies eher als gegeben hin und Ludlow sei einfach das exemplarische Opfer des Systems, das sich mit allen Mitteln versucht, zu integrieren und in diesen Versuchen oftmals scheitert. Die strukturellen Probleme lesen sich ebenso nur am Rande. Ich denke jedem Leser wird es gelingen zu erkennen, dass alles, was hier passiert, die Ausgrenzung, die auf jeder Ebene abscheulichen Machtdemonstrationen innerhalb der Gesellschaft, grundweg falsch sind. Aber wie geht man mit dieser Situation um, wenn der Protagonist, der all die Auswüchse dieses völlig verlogenen Systems repräsentiert, eine Figur ist, der man, aus welchen Gründen auch immer, nicht gern folgt, die es einem manchmal sogar schwer macht, sie zu mögen?

Fazit

Ich musste für mich persönlich feststellen, dass mir das in diesem Fall völlig den Zugang zum Thema versperrt hat. Ich schätze sämtliche Ansätze des Autors und spreche ihm auch nicht ab, dass er einige erinnerungswürdige Szenen und eine grundsätzlich wahnsinnig spannende Prämisse erschaffen hat, aber insgesamt empfinde ich „gut gemeint“ und gut gedacht als viel zu wenig, um von einem großen Werk zu sprechen. Geschweige denn von einem, das die Zeit überdauert und uns den Spiegel vorhält.