Rezension von Mona

Inhalt

 „Sodom und Berlin“, aus dem Französischen übersetzt von Gerhard Meier, ist eine, so scheint es mir, in Vergessenheit geratene Zeitzeugengeschichte, die aber sagenhaft viele unvergessliche Elemente hat. Erstmals veröffentlich 1929 zeigt der Roman das schillernde und vorallem das vermeintlich schillernde Berlin der 20er-Jahre aus der Perspektive eines aus dem Krieg kommenden Soldaten, eines Durchschnittbürgers mit Namen Odemar Müller, der sich eher passiv durch die Welt bewegt und von der Euphorie und Manie des berlinerischen Zeitgeistes anstecken lässt.

„Odemar Müller kam von der Front zurück. Der Zug der Niederlage hatte ihn hier abgesetzt, nach langer, schmerzlicher Fahrt durch ein in Angst und Elend erstarrtes Land. Er war nach Berlin gekommen, zum fiebrigen Kopf des großen, kranken, ausgehungerten und mit Pusteln übersäten Leibes, der Deutschland damals war, nach vier Jahren Heldentum, vier Jahren Verzweiflung, in denen ein großes europäisches, am Gipfel der Zivilisation stehendes Volk elender gelebt hatte als eine Steinzeithorde, sich von Rüben ernährt hatte, mit Blattwerk gekleidet, ohne Möglichkeit, sich zu wärmen, ohne Kontakt zur Außenwelt.“ S. 21

Odemar bewegt sich nicht nur durch das diabolische Berlin, er wird Teil der Diabolie, schmiedet egomanische Pläne, um den von den Kriegsjahren gebeutelten Menschen das kaum vorhandene Geld aus den Taschen zu ziehen, nur um sich danach wieder komplett neu zu erfinden. Ich hatte während des Lesens dein Eindruck, unser Protagonist selbst verkörpert das Berlin der 20er Jahre und steht sinngemäß für die Illusion und die Glorie, die mit dieser Zeit einhergingen, um bald darauf in Unheil auszuarten.

Fazit

Jeder Satz, jede Figur ist bedeutungsschwer, jede Metapher lädt zum mehrmaligen lauten Vorlesen ein, die Bilder sind wahnsinnig eindringlich und intensiv, kleiden schreckliche Dinge in Poesie und bringen auf den Punkt, was das vorherrschende Zeitgefühl beschreibt, entlarven aber gleichzeitig schonungslos die Illusion. Es ist ein bisschen Remarque, ein bisschen Victor Hugo in und ganz viel Kunst von einem Künstler, der mir bis dato nicht bekannt war. Und zudem ist es die Perspektive eines deutsch-französischen Autors auf die schillernde Metropole, die Demaskierung des Babylon Berlin gepaart mit Seitenhieben auf das deutsche Volk. Oder zusammengefasst: Es ist ganz große Kunst, die in einem nachhallt, wenn man sich so auf sie einlässt, wie sie es verdient hat.