Rezension von Marion

Inhalt

Das „Buch Aspergers Kinder“ von Edith Sheffer hat mich emotional sehr berührt. Mein Sohn ist Autist, so dass dieses Thema mich auch aus persönlicher Sicht sehr interessiert hat. Viele Verhaltensweisen erkenne ich wieder, es ist daher für mich sehr erschütternd zu erfahren, wie Autisten damals, zur Zeit der Euthansie, behandelt wurden. War es wirklich Unwissenheit, oder war es einfach praktisch? Diese Frage drängte sich mir während des gesamten Buches auf. Asperger war mir bisher immer nur als der wohlmeinende Entdecker dieses Spektrum des Autismus bekannt.  Dass er massgeblich mitverantwortlich war für das grausame Schicksal vieler Kinder, war mir nicht bewusst. Diese Informationen findet man nicht in den gängigen Artikeln, um an sie zu gelangen muss tief graben und teilweise zwischen den Zeilen lesen, und dies hat Edith Sheffer getan.

Das Buch beginnt mit einer, wie ich finde, gelungenen Einleitung. Wie erklärt ein Kind den Unterschied zwischen Fliege und Schmetterling? Danach wird ein System beschrieben, das versuchte, Menschen, zu klassifizieren und ihren Wert zu ermitteln. Zur Zeit der Euthansie war dies wohl das Hauptaugenmerk. Ein Mensch hatte gewisse Funktionen zu erfüllen, konnte er dies nicht, passte er nicht ins vorgegebene Raster, war er nicht brauchbar fürs System. Viele Autisten weisen Fähigkeiten auf, die dem System nützlich sein konnten. Doch leider äußern sich viele autistische Züge ebenso in Verhaltensweisen, die nicht leicht zu händeln sind, so dass kein nutzen mehr vorliegt. Heute geht man davon aus, dass viele Autisten in dieser Zeit getötet wurden. Sie wurden in Psychiatrien und in Heime gesteckt, vegetierten vor sich hin, sie waren anders und erfühlten ihren Zweck nicht. In Deutschland gibt es nachweislich sehr wenig alte Autisten, dies ist die Erklärung dafür.

Wien im Jahr 1938, nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich setzt sich in der Psychiatrie ein schon vorhandenes System der Klassifizierung von neurodiversen (Kinder ohne Autismus sind neurotypisch) Kindern durch. Dabei stehen für mich, so wie ich es lese, immer der Nutzen und der Wert des Individuums für die Allgemeinheit im Vordergrund. Die Ärzte jüdischen Glaubens verlassen Wien, zurück bleibt ein Vakuum, in dem Hans Asperger ( der Namensgeber dieser speziellen Form des Autismus) Karriere machte. Es wird anhand von Beispielen gezeigt, wie nicht nur Hans Asperger, nein eigentlich alle Psychiater dieser Zeit sich dem System Unterwerfen und davon profitieren.

Hans Aspergers Rolle in dem System wird von Edith Sheffer in einem Licht betrachtet, das allgemein zeigt, wie er sich durch eine von der Zeit beeinflusste Arbeit wandelt. Erst der mitfühlende, erklärende Wissenschaftler, der versucht diese Kinder zu verstehen, dann wandelt er sein Verhalten und sieht den Menschen nicht mehr als Individuu, sondern als Instrument . In dieser Zeit entstand dann seine Arbeit über autistische Psychopaten.

Anhand von vier Beispielen wird erklärt, wie Asperger selbst zu seiner Arbeit stand. Eindrucksvoll wird dort dargestellt, wie zumindest eine wohlwollende Neutralität zu einem System seinerseits bestand, dessen mörderische Art ihm im Grunde voll und ganz bewusst bewusst gewesen ist. Als einer der wenigen Psychologen dieser Zeit war er nie Mitglied der NSDAP, wohl aber Mitglied in verschiedenen Organisationen  des Regimes. Ein überzeugter Katholik, dem sicher auch die Reden kritischer Personen dieser Zeit bekannt waren. Trotzdem erkenne ich keine Form der Kritik von ihm. Hatte Asperger Angst selbst Opfer des Regimes zu werden? Rechtfertigt dies, Kinder, die durch seine Entdeckung, nachweislich für die Probleme die sie machten, nichts können, zu töten? 

Edith Sheffer ist Historikerin und Mutter eines Kindes mit Autismus Diagnose. Vielleicht trübt diese Nähe etwas ihren Blick, jedoch nicht im negativen. Sie weist viele Quellen auf, die belegen, dass sie sich mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. Ihre Ausarbeitung basiert auf vielen Nachforschungen und Fakten. Als nicht Mediziner zeigt mir dieses Sachbuch, dass kritische Stimmen wichtig sind und vieles immer noch verborgen ist. Ich beurteile nicht, ob wissenschaftlich alles korrekt ist, mir ist wichtig, dass sie eine mutige Arbeit geleistet hat, die ein anderes Licht auf diese Zeit wirft. Und das hat die Autorin mit Bravur hinbekommen. Ich bin froh dieses Buch gelesen zu haben.

Fazit

Empfehlen kann ich dieses Buch allen, die daran interessiert sind, sich ein Bild über die Zeit zu machen und sich ebenfalls fragen: Warum ist immer noch so wenig über diesen Teil der dunklen Medizin Geschichte bekannt?