Rezension von Ramon

Der Prachtband „Verrückt nach Karten“ hat 265 bunte Seiten im A4-Format. Er enthält Aufsätze von mehr als zwanzig Autoren und darüber hinaus über 150 Abbildungen von Karten. Diese sind stets hochauflösend auf bester Papierqualität gedruckt. Die größten Karten bedecken eine komplette Doppelseite.

Das Buch ist in vier Teile gegliedert und enthält Aufsätze von zahlreichen bekannten Autoren. Darunter der Fantasy-Bestsellerautor Philip Pullman („Der goldene Kompass“) und Tolkien-Fachmann Brian Sibley. Die Essays stammen nicht nur von Schriftstellern, sondern auch von Künstlern wie der Grafikerin Miraphora Mina, die für die Harry Potter-Filme tätig war. In ihrem Essay schreibt sie über ihre Arbeit an der „Karte des Herumtreibers“.

„Ich begann wohlweislich mit einer Karte und machte die Geschichte passend“, wird Tolkien auf dem Klappentext zitiert. Nicht nur Tolkien, auch viele andere Phantastik-Autoren zeichnen ihre Karten selbst und nehmen sie als ersten Ausgangspunkt für ihre Geschichten. Oft scheint dies der spielerischste, vergnüglichste Teil der Arbeit zu sein. So bekennt Philip Pullman etwa, das Zeichnen falle ihm leicht, das Schreiben sei dagegen echte Knochenarbeit. Und die Autorin Abi Elphinstone beschreibt das Kartenzeichnen als das Herbeizaubern eines bisher von niemandem entdeckten Kontinents. Es sei „einer der spannendsten und zutiefst befreienden Teile des Geschichtenerzählens.“

Ein Atlas fiktiver Reisen

Die Karte auf dem Titelbild gemahnt an eine Schatzinsel. Sie wirkt fast kindlich-verspielt, was durchaus zum Thema und Inhalt des Buches passt. Doch keinesfalls handelt es sich hier um ein Kinderbuch, wie man vielleicht auf den allerersten Blick denken könnte.

Es gehe um einen Atlas der Reisen, die Schriftsteller machen, beschreibt Herausgeber Huw Lewis-Jones die Programmatik des Bandes. Diese Reisen werden mithilfe ganz unterschiedlicher Kategorien von Karten unternommen.

Zum einen gibt es da natürlich die Karten von fiktiven Orten wie Mittelerde, Narnia oder Hogwarths. Viele dieser Karten wird der Leser wiedererkennen, da sie nicht selten in den Werken der Autoren mit abgedruckt werden. Zum anderen sind da aber „die Karten realer Orte, die Schriftsteller inspiriert haben, und die Skizzen, die sie beim Schreiben verwenden.“ Diese Karten werden den meisten Lesern unbekannter sein.

Die realen und fiktiven Karten werden in diesem Band jedoch nicht losgelöst voneinander betrachtet, sondern es werden immer wieder die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen literarischer und wirklicher Kartographie herausgearbeitet. Dabei gibt es natürlich interessante Zwischenbereiche, etwa eher spekulative Weltkarten aus früheren Zeiten, die aus heutiger Sicht teils genauso phantastisch wirken wie die literarischen Karten. Generell sind Karten immer ein Versuch der Komplexitätsreduktion. Nicht selten gibt es unbekannte Flecken, die mehr oder weniger frei interpretiert werden.

Nicht nur Fantasy-Autoren verwenden fiktive Karten, um ihren Schöpfungen mehr Unmittelbarkeit und Plastizität zu verleihen. Inspiriert von Dantes „Göttlicher Komödie“ zeichnete etwa Sandro Botticelli schon vor mehr als 500 Jahren über hundert Bilder der neun von Dante beschriebenen Höllenkreise.

Über all das erfährt man viel in den zahlreichen Essays, die sehr unterschiedliche Interpretationsansätze aufzeigen.

Fazit

Für Fans von Karten ist dieses liebevoll layoutete und editierte Buch ein Muss. Aber auch, wer sich für „world building“ interessiert, dafür, wie fiktive Gebäude, Orte, Städte, Länder oder ganze Welten im Kopf eines Schriftstellers langsam zur Wirklichkeit werden, findet in diesem Buch einen reichen Schatz.