In der Übersetzung von Annabel Zettel

Rezension von Mona

„In einer Situation, in der jeder wache Moment dazu dient, unseren Lebensunterhalt zu bestreiten, in der wir sogar unsere Freizeit durch Likes auf Facebook oder Instagram für numerische Evaluationen hergeben, dabei ständig, wie bei einer Aktie, die Performance kontrollieren und die Weiterentwicklung unserer Personal Brand überwachen, wird Zeit zu einer ökonomischen Ressource, die wir nicht länger guten Gewissens mit nichts vertun können.“ (S. 42)

Eine der Herausforderungen unserer modernen Zeit und eine gesellschaftlich zu bewältigende Hürde ist die Reizüberflutung, die uns permanent umgibt, wenn wir uns nicht vor ihr schützen. Die aktuell junge Generation ist ihr sogar ununterbrochen ausgesetzt, denn sie kennt kein Leben ohne mediale (Selbst-) Darstellung, ohne das Bewusstsein, das in unseren Handys und PCs eine zweite Realität existiert, die an unsere eigene anknüpft, ihr aber auch in mancher Hinsicht voraus ist und gerne als Fluchtmöglichkeit genutzt wird. Wie soll man dieses zweite Zuhause dann nicht als Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit des eigenen Lebens ansehen, wenn man in ihr schon früh entkommen kann, auf sie angewiesen ist und Seite an Seite mit ihr aufwächst? Und man es zudem als gegeben aber unabänderlich hinnimmt, dass man, mehr noch als im physischen Alltag, ein sehr wichtiges Zahnrädchen im kapitalistischen Wertesystem ist.

Jenny Odell nimmt sich dieser wichtigen und modernen Fragestellung an, die natürlich nicht in aller Umfänglichkeit beantwortet werden kann, denn die Langzeitfolgen kennen wir noch nicht. Sie macht dabei sehr kluge Beobachtungen, führt uns das Problem facettenreich vor Augen. Nur hier kommt der Wehrmutstropfen: Bahnbrechende Lösungen bietet sie nicht an. Was man sich durchaus von einem Buch erwarten darf, dessen Titel sich wie eine Hilfestellung liest. Oder wie die ultimative Lösung. Im Großen und Ganzen empfiehlt sie, sich die Problematik zu vergegenwärtigen, Meditation zu betreiben und Achtsamkeit zu praktizieren. Die Natur spüren, sie bewusst wahrnehmen und im Hier und Jetzt leben. Sicherlich keine Empfehlungen, die nicht in irgendeiner Art und Weise naheliegend sind und die man nicht ironischerweise durch Social Media schon das ein oder andere Mal präsentiert bekommen hat. Denn Achtsamkeit ist eines der Schlagworte unserer modernen Zeit und es droht, wie alle großen Worte, instrumentalisiert zu werden und damit selber zu einem Werkzeug des kapitalistischen Systems zu verkommen. Ihre gut gemeinte Hilfestellung bettet die Autorin zudem in allerlei persönliche Anekdoten, deren Notwendigkeit und Nutzen vielleicht auch nicht immer klar ersichtlich sind.

Wenn man sich hier an die Hand genommen fühlen möchte dahingehend, wie man tatsächlich der Aufmerksamkeitsökonomie entkommt, ohne sich ganz und gar von der Gesellschaft abzuschotten, dann wird man wohl kaum über oben erläuterte Erkenntnisse hinauskommen. Wenn man aber eine kluge und detailreiche Erörterung der Problematik erwartet, dann ist ein Griff zu diesem Buch durchaus gern empfohlen.