Rezension von Marion

Dieser Roman umfasst fast 1250 Seiten. Als ich ihn endlich in den Händen hielt, kamen mir Zweifel. Bin ich wirklich bereit so viel Zeit in die Lebensgeschichte von Archie Ferguson zu investieren? Ja, ich war wirklich bereit dazu. Paul Auster hatte mich nach wenigen Seiten gefangen genommen. Sein Schreibstil ist unvergleichlich. Der Roman begleitete mich fast 3 Wochen lang, die Abende waren restlos für Archie reserviert, mehr als einmal musste ich mich bewusst ermahnen das Buch zur Seite zu legen. Mich haben in meinem Leben schon viele Bücher berührt, aber 4 3 2 1 landet definitiv unter meinen persönlichen Top Ten Titeln.

Der Roman ist so aufgebaut, dass der Leser immer eine kurze Zeit aus Archie Fergusons Leben erzählt bekommt. Beginnend mit seiner Kindheit, nachdem kurz erläutert wird wie sein Großvater aus Russland nach Amerika einreiste, dort Fuß fasste und wie er den Namen Ferguson erhielt. Witzige Geschichte übrigens! Die einzelnen Passagen stützen sich auf vier verschiedene Lebenswege. Frei nach dem Motto, was wäre aus meinem Leben geworden wenn ich etwas anders gemacht hätte, das Schicksal eine andere Wendung genommen hätte. Diese Vorstellung kennt wohl jeder. Man malt sich aus wie sein Leben verlaufen wäre, wenn man einen anderen Beruf gewählt hätte etc.

Dies nun basierend auf Archies Leben war sehr spannend zu lesen. Der Anschluss an den nächsten Zeitabschnitt war manchmal etwas schwierig, da man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen musste, was der aktuelle Archie bisher erlebt hat, in welchem Umfeld er nun lebt, was in der Geschichte vorangegangen ist. Leicht machte es die Tatsache, dass die Reihenfolge in der die einzelnen Versionen erzählt werden immer gleich bleibt. Wobei man dazusagen muss, dass es auch hier und da ein abruptes Ende geben wird, denn ganz so wie das Leben manchmal spielt, ist auch ein Archie Ferguson nicht vor dem Tode sicher.

Was macht die Geschichten nun so besonders? Für mich war es einfach die Tatsache das Paul Auster sich selbst mit kleinen Dingen auseinander setzte. Archie hinterfragt schon ganz früh alles, jongliert im zarten Alter bereits mit den Eventualitäten seines Lebens. Ein banales Beispiel dafür wäre, als Archie sich ein Bein bricht. Für ein Kind ist das schrecklich, ohne Frage. Das seine Eltern es ihm so angenehm wie möglich machen möchte sicher auch. Doch Archie erkennt in der eigens für ihn eingebauten Klimaanlage nur einen geringen Segen, denn er kann durch die lauten Geräusche die Vögel von draußen nicht mehr zwitschern hören. Er überlegt auch, was passiert wäre, wenn er nicht auf diesen Baum geklettert wäre, malt sich verschiedene, denkbare Szenarien aus usw., usw..

Man fühlt sich wirklich während des Lesens so, als schaue man dem kleinen Jungen zu, schmunzelt wenn er die Welt der Erwachsenen hinterfragt. Leidet mit bei den ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, so detailliert und lebensnah, einfach toll. Auch der Erwachsene Archie teilt sein Leben in verschiedenen Sichtweisen mit dem Leser, das Grundgerüst des erzählen bleibt gleich.

Die Hauptpersonen mit denen Archie zu tun hat sind in der ersten Zeit hauptsächlich seine Familie.Stanley Ferguson und Rose (Adler) Ferguson. Stanley hat zwei ältere Brüder, die beide nicht so ehrgeizig sind wie er. Natürlich verändern sich deren Lebensweisen aber auch in den einzelnen Geschichten. Einiges schlussfolgert logischerweise auch daraus, dass Archies Leben sich erst ändert aufgrund der neuen Situation von seinen Eltern beispielsweise.

Tante Mildred, Rose ältere Schwester, ist zum einen die Tante zu der Archie aufschaut, in einem anderen Szenario herrscht dann kaum Kontakt. So schafft Auster auch immer wieder neue Perspektiven für alle Charaktere. So gestaltet sich jede einzelne Geschichte spannend, es gibt zwar Parallelen aber immer wieder neue und unerwartete Schicksalsschläge und Zusammenhänge zu entdecken. Interessant ist auch zu beobachten, dass die Charakterzüge der Personen teilweise konstant gleich bleiben, trotz veränderter Lebensumstände und Erlebnisse. Dies regte dann zum nachdenken an. Ist dieser Mensch so, weil es sein Naturell ist oder haben ihn die Lebensumstände zu dem gemacht? Es gibt aber auch Beispiele, wo die Personen aus Archies Umfeld sich ganz anders verhalten in den einzelnen Lebensabschnitten.

Bei Archie läuft es so, dass er immer ein komplett anderes denken und handeln zeigt. Dies ist für den Roman auch notwendig, denn nur so wird die Andersartigkeit des Seins durch verschiedene Lebensumstände erst klar. So ist der eine Archie beispielsweise musisch sehr interessiert, kennt Operetten. Der andere steht auf Rock n‘ Roll und kann allem klassischen nichts abgewinnen.

Die politischen Ansichten verlaufen ähnlich kontrovers. Einmal ist er jemand der mitfiebert als Kennedy kandidiert, das nächste Mal interessiert er sich nicht für Politik. Dies zieht sich durch alle Lebensabschnitte, ließ mich immer wieder aufs Neue mit Spannung lesen wie Archies Leben sich nun entwickelt.

Dieser Roman bekommt von mir die volle Punktzahl, er hat mich sehr gut unterhalten. Habe selten den Sinn des Lebens während des Lesens so oft hinterfragt wie hier. Die Erkenntnisse Austers waren sehr interessant. Ertappte mich selbst, wie ich mich ständig fragte, was wäre geschehen, wenn…..dieses Buch hat Spuren hinterlassen.