Zusammenfassung, Infos und Rezension

Tony Websters späte Lebensjahre werden von den Entscheidungen seiner Jugendjahre überschattet. Als junger Mann schrieb er nach einer schmerzlichen Trennung von seiner Jugendfreundin einen bitterbösen Brief, der ihn viele Jahre später wieder einholt.

Freunde sterben, Ehen werden geschlossen und wieder geschieden, Kinder werden geboren und gründen eigene Familien – während diese typischen Lebensereignisse im Leben von Tony stattfinden, schärft er nach und nach seine Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und geht dabei hart mit sich ins Gericht: Was ist aus den Träumen seiner Jugend geworden? Wer war schuld an den Trennungen in seinem Leben?

Rezension

Julian Barnes schreibt über das Erinnern. Wie verlässlich sind Erinnerungen? Natürlich sind sie immer subjektiv, doch Barnes geht es um mehr. „Wie entsteht Geschichte?“ lässt er den Englischlehrer den jungen Tony fragen, der darauf antwortet: „Geschichte ist immer die Geschichte der Sieger„. „Schon gut„, antwortet ersterer. „Ich habe befürchtet das Sie das sagen. Es geht in Ordnung solange Sie in Erinnerung behalten, das Geschichte auch die Selbsttäuschung der Besiegten beinhaltet„. Er hätte auch Max Frisch zitieren können: „Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält„.

Vom_ende_einer_geschichteNach und nach legt sich der nun älter werdende Tony eine Version der Geschichte zu, die ihn in keinem allzu ungünstigen Licht stehen lässt. Seine damalige Freundin Victoria trennte sich und kam mit seinem besten Freund Adrian zusammen. Nun ja – das ist auch etwas hart. Also schreibt Tony einen bösen Brief. Doch wie böse und gehässig… das erkennt er mit aufrichtiger Empörung erst, als er Jahre später Gelegenheit erhält, das „Werk“ ein zweites mal zu lesen. Nun hilft nur noch Entschuldigen und Abbitte leisten – wenn überhaupt. Adrian ist inzwischen gestorben – er hat Selbstmord begangen – und Victoria trägt ihren Zorn zu Markte. 

Zur Reflexion über das eigene Erinnern und die uns alle innewohnende Tendenz, die Dinge zu unseren Gunsten zu beschönigen, ist Julian Barnes „Vom Ende einer Geschichte“  mehr als tauglich. Der Stoff, den er sich zur Veranschaulichung ausgesucht hat, dagegen wohl etwas dünn. Tonys ganze Sünde bestand im Schreiben eines verletzenden Briefes – im Affekt geschrieben von einem noch sehr jungen Mann. Seine damalige Freundin hingegen, die weder in jungen noch in ihren späten Jahren irgendwelche Anzeichen von Reife aufweist (und weder damals noch heute sympathisch ist), scheint sich hingegen keiner Schuld bewusst zu sein – so einfach ist es denn doch nicht. Und ganz allgemein lässt Barnes hier seinen Protagonisten etwas sehr viel Wind um eine Jugendliebe machen, die ja nun schon 40 Jahre zurückliegt und irgendwie auch nie so ernsthaft war, dass eine Ehe oder Familie in Aussicht gestanden hätte. 

Die eigentliche Meisterschaft Barnes‘ findet sich vielleicht weniger noch in den mehr oder minder erhellenden philosophischen Reflexionen. Aus schriftstellerischer Sicht großartig zeichnet er vielmehr seine Figuren und die Dynamik zwischen diesen. Wie beschreibt er Adrian, den „Denker“ des Freundeskreises? „Adrian war intelligenter und seinem Wesen nach rigoroser als ich; er dachte logisch und handelte dann nach dem, was sich aus logischem Denken ergab. Wir anderen hingegen tun, fürchte ich, meist das Gegenteil: Wir treffen eine instinktive Entscheidung und bauen uns dann eine Infrastruktur von Argumenten auf, um diese Entscheidung zu rechtfertigen„. Ja, so sieht’s aus; die Hirnforschung hat’s bestätigt, kann man da nur sagen.

Infos

  • Website des Autoren
  • Originaltitel: The Sense of an Ending
  • Barnes erhielt für das Werk den renomierten englischen Booker Prize
  • Vom Ende einer Geschichte beim Verlag KiWi