Rezension von Annemarie

Märchen – ein oft unterschätztes Genre. Denn sie können einem für das eigene Leben enorm viele Anstöße liefern und enthalten wahre Schätze an psychologischen Hilfen, die viel zu selten erkannt werden. So enthalten sie viel Nützliches zur Bewältigung von Ängsten.

Eugen Drewermann, als Theologe und Psychoanalytiker auch international sehr bekannt und geschätzt und einer der erfolgreichsten theologischen Autoren, befasst sich in diesem Band damit. Er analysiert drei Grimm´sche Märchen, interpretiert und erläutert sie auf Grundlage seiner Analysen und gibt dem Leser darauf aufbauend Denkanstöße für sein eigenes Leben. In diversen, teils sehr ausführlichen Fußnoten gibt Drewermann, wo nötig und sinnvoll, weitere und weiterführende Informationen.

Die drei Märchen stellen die unterschiedlichen Teile dar. Beim Märchen „Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ befasst sich der Autor schwerpunktmäßig damit, inwieweit und mit welchen Folgen Angstfreizeit anhand von Angstverdrängung erreicht werden kann. Im Märchen „Das tapfere Schneiderlein“ geht es primär um die Angstlösung durch Angstverbreitung. Das Märchen „Die Eule“ schließlich wird exemplarisch für die Verarbeitung von Angst durch Aggression erläutert. Die drei Teile sind jeweils in mehrere Unterkapitel im Umfang zwischen zwei und elf Seiten unterteilt.

Zu Anfang des Teils wird das Märchen zunächst wiedergegeben. Auf dieser Grundlage wird es dann erläutert.
Im Anhang findet man eine sehr umfangreiche Bibliographie und ein Register. In der Mitte des Buches sind acht Seiten mit hochqualitativen Farbfotos antiker Kunst vorzufinden.

Rezension

Ich hatte Drewermann vorher nicht gelesen und war überrascht, wie gut ich das Werk fand. Besonders gut hat mir der feine und zugleich präzise und genaue Schreibstil Drewermanns gefallen. Gerade die Sensibilität, mit der Drewermann schreibt, fand ich an dem Band außergewöhnlich und beeindruckend. Dieser ist zum einen sehr schön zu lesen, in literarischer Hinsicht absolute Klasse. Zum anderen hat mich Drewermann mit seinen Schilderungen und Erläuterungen oft sehr nachdenklich gemacht. Er analysiert die Märchen sehr genau und doch mit einem erstaunlichen Gespür für das Wesentliche und gibt in diesem Zusammenhang viele kleinere Exkurse zu Quellen der Literatur, darunter Sigmund Freud und Sören Kierkegaard.

Gut gefielen mir auch das Coverbild, das ausgesprochen hochwertig wirkende Layout des Werkes und dass die Märchen eine andere Schriftart haben als der restliche Text. Dadurch findet man die Märchen sehr schnell wieder, wenn man einmal zurückblättern möchte, um etwas im Märchen noch einmal nachzulesen.

Man sollte aber ein zumindest grundlegendes Interesse an Märchen und Psychologie haben. Wer sich so gar nicht dafür interessiert, wird sich mit diesem Band vermutlich sehr schwertun. Ebenso können Personen, die ein allenfalls marginales Wissen in Bezug auf Fremdwörter á la „nymphoman“, „schizoid“ etc. haben, Schwierigkeiten beim Durchlesen des Bandes bekommen.

Gestört hat mich persönlich nur eine einzige Sache: Der Band ist in alter Rechtschreibung verfasst. Das mag jetzt nicht so schlimm sein, ich fände es dennoch, gerade bei einem so perfektionistisch-fein und sensibel geschriebenen Buch, schön, wenn man auch darauf geachtet hätte.

Fazit

Für alle, die sich für die Kraft der Märchen interessieren, ein ausgesprochen schönes Werk, das sich gerade durch seine intellektuell-sensible und präzise Schreibweise auszeichnet. Aus meiner Sicht sehr zu empfehlen.